Goettin in Gummistiefeln
Tiffany-Feuerzeug eine Zigarette an. »Und so erfolgreich. Typischer Großstadtmensch.«
»Aha.« Ich muss ein Kichern unterdrücken, weil Nathaniel es endlich geschafft hat, mir den Schuh vom Fuß zu streifen. »Und was macht sie beruflich?«
»Ach, sie ist Rechtsanwältin«, sagt Trish - und ich glotze sie fassungslos an. Rechtsanwältin?
Eine Rechtsanwältin kommt zu Besuch in dieses Haus?
Nathaniel kitzelt jetzt mit dem Zeh meine Fußsohle, aber ich kriege im Moment nicht mehr zustande als ein müdes Lächeln. Das könnte schlimm werden. Das könnte eine Katastrophe werden.
Wenn ich sie nun kenne?
Während sich Trish ihre zweite Bloody Mary mixt, zermartere ich mir fieberhaft das Hirn. Melissa. Vielleicht Melissa Davis von Freshwater. Oder Melissa Christie von Clark Forrester. Es könnte aber auch Melissa Taylor sein, mit der ich die DeltaCo-Fusion gemacht habe. Wir haben Stunden im selben Raum zugebracht. Sie würde mich sofort erkennen.
»Also ... ist sie Ihre Nichte oder Mr. Geigers Nichte?«, frage ich beiläufig, als Trish wieder Platz nimmt. »Heißt sie auch Geiger?«
»Nein, Hurst.«
Melissa Hurst. Noch nie gehört.
»Und wo arbeitet sie?« Bitte, lieber Gott, im Ausland ...
»Och, irgendwo in London.« Trish macht eine vage Geste mit ihrem Glas.
Okay, ich kenne sie also nicht. Trotzdem: Das sieht nicht gut aus. Eine äußerst erfolgreiche Rechtsanwältin. In London. Wenn sie in einer von den größeren Kanzleien arbeitet, hat sie sicher von mir gehört. Dann hat sie sicher von der Carter-Spink-Anwältin gehört, die fünfzig Mille in den Sand gesetzt und die Flucht ergriffen hat. Dann kennt sie jede demütigende Einzelheit meines Missgeschicks.
Bei dem Gedanken wird mir eiskalt. Sie braucht nur meinen Namen zu hören und zwei und zwei zusammenzuzählen ... und schon kommt alles raus. Dann bin ich hier auch nicht mehr sicher. Alle werden wissen, was Sache ist. Alle werden wissen, dass ich gelogen habe. Ich schaue Nathaniel an. Mir wird ganz übel.
Ich kann das jetzt nicht zulassen. Nicht gerade jetzt.
Er zwinkert mir zu, und ich nehme einen tiefen Schluck von meinem Drink. Die Antwort liegt auf der Hand. Ich muss alle Hebel in Bewegung setzen, damit es nicht herauskommt.
18
Es gibt überhaupt keinen Grund, warum mich diese Rechtsanwältin erkennen sollte. Um ganz sicher zu gehen, entscheide ich mich aber doch für eine dezente Tarnung. Nachdem ich am folgenden Nachmittag das Gästezimmer hergerichtet habe, flitze ich rasch in mein eigenes Zimmer und stecke meine Haare so auf, dass sie nach vorne fallen und mein Gesicht möglichst verdecken. Dann setze ich noch eine Sonnenbrille auf, die ich in einer Kommodenschublade gefunden habe. Sie stammt aus den Achtzigerjahren und hat eine breite grüne Fassung, hinter der mein Gesicht förmlich verschwindet. Jetzt sehe ich zwar aus wie Elton John, aber damit kann ich leben. Hauptsache, ich habe keinerlei Ähnlichkeit mehr mit meinem früheren Ich.
Als ich die Treppe herunterkomme, taucht Nathaniel gerade mit stinksaurer Miene aus der Küche auf. Er blickt zu mir hoch und bleibt wie angewurzelt stehen.
»Samantha ... was hast du mit dir angestellt?« »Ach, meine Frisur meinst du?« Ich berühre den aufgetürmten Mopp mit gespielt beiläufiger Geste. »Ich wollte einfach mal was anderes ausprobieren.«
»Ist das etwas deine Sonnenbrille?« Er starrt mich leicht verwirrt an.
»Ich habe ein bisschen Kopfschmerzen. Alles klar bei dir?«, beeile ich mich, das Thema zu wechseln.
»Keineswegs.« Er verzieht grimmig das Gesicht. »Trish mal wieder. Sie hat mir eine Predigt gehalten, von wegen keinen Lärm machen und so. Rasen mähen verboten, jedenfalls zwischen zehn Uhr vormittags und zwei Uhr nachmittags. Wenn ich die Hecke stutzen will, muss ich vorher Bescheid geben. Und auf dem Kiesweg soll ich nur auf Zehenspitzen gehen. Auf Zehenspitzen.«
»Wieso?«
»Wegen diesem blöden Besuch. Wir sollen alle um sie rumtanzen. Eine verfluchte Rechtsanwältin.« Er schüttelt ungläubig den Kopf. »Ihre Arbeit ist wichtig. So ein Quatsch! Meine Arbeit ist wichtig!«
»Sie ist da!«, kreischt Trish plötzlich aus der Küche und kommt auch schon in die Halle gestürzt. »Sind alle bereit?« Ich höre, wie eine Autotür zugeknallt wird.
Mein Herz fängt an wie wild zu klopfen. Jetzt wird‘s kritisch. Ich zupfe mir rasch noch ein paar Haarsträhnen mehr ins Gesicht und balle dann unwillkürlich die Fäuste. Wenn ich diese Frau kenne, werde ich einfach den
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