Goettin in Gummistiefeln
ganz schwindelig ist. Der Boden unter mir ist hart und staubig, kleine Steinchen kleben an meinem Rücken, an meinen Händen und Knien, und überall an meiner Haut sind Himbeerflecken. Es ist mir egal.
Ich kann mich nicht mal dazu aufraffen, die Hand zu heben, um die Ameise zu verscheuchen, die kitzelnd über meinen Bauch krabbelt.
Mein Kopf liegt auf Nathaniels Brust, und sein Herzschlag ist wie eine langsam und beruhigend tickende Großvateruhr. Die Sonne scheint heiß auf meine Haut. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist. Es ist mir egal. Ich habe jedes Zeitgefühl verloren.
Schließlich regt sich Nathaniel. Er küsst lächelnd meine Schulter. »Du schmeckst nach Himbeeren.«
»Das war ...« Ich weiß nicht weiter, irgendwie ist mein Hirn wie in Watte gepackt. »Weißt du ... normalerweise ...« Ich muss plötzlich unheimlich gähnen und halte mir die Hand vor den Mund. Ich habe das Gefühl, tagelang schlafen zu können.
Nathaniel hebt eine Hand und zeichnet träge Kreise auf meinen Rücken.
»Sechs Minuten, das ist kein Sex«, höre ich ihn noch sagen, während mir schon die Augen zufallen. »Sechs Minuten ist ein gekochtes Ei.«
Als ich wieder aufwache, liegen die Himbeerstöcke bereits teilweise im Schatten. Nathaniel ist unter mir hervorgekrochen, hat mir aus meinem zerknitterten, himbeerfleckigen Rock ein Kissen gemacht, seine Jeans angezogen und zwei Bier aus dem Kühlschrank der Geigers stibitzt. Ich richte mich noch ganz benommen auf. Er sitzt an einen Baum gelehnt, eine Flasche Bier in der Hand.
»Faultier«, sage ich zu ihm. »Den Geigers weismachen, du würdest die Wicken hochbinden.«
Er schaut mich mit einem belustigten Ausdruck an. »Na, gut geschlafen?«
»Wie lang hab ich geschlafen?« Ich klaube mir ein Steinchen von der Backe. Irgendwie bin ich noch immer nicht richtig da.
»Paar Stunden. Willst du was?« Er wedelt mit der Bierflasche. »Ist schön kalt.«
Ich rapple mich auf die Beine, bürste mich ab und entscheide mich für Rock und BH als Kompromissoutfit. Dann setze ich mich zu ihm ins Gras. Er reicht mir eine Flasche, und ich nehme einen vorsichtigen Schluck. Ich habe noch nie Bier getrunken. Aber so, kalt und sprudelnd, direkt aus der Flasche, schmeckt es einfach himmlisch - das Erfrischendste, was ich je getrunken habe.
Ich lasse mich mit dem Rücken gegen den Baumstamm sinken, die nackten Füße im kühlen Gras.
»Gott, ich fühl mich so ...« Ich hebe eine Hand und lasse sie schwer ins Gras plumpsen.
»Du bist nicht mehr so schreckhaft«, sagt Nathaniel. »Vorher bist du immer an die Decke gesprungen, wenn man dich nur angeredet hat.«
»Bin ich nicht!«
»O doch, bist du.« Er nickt. »Wie ein Kaninchen.«
»Ich dachte, ich wäre ein Dachs.«
»Du bist eine Promenadenmischung. Ein Dachskaninchen. Sehr seltene Rasse.« Er grinst mich breit an und nimmt einen kräftigen Schluck Bier. Eine Weile sagt keiner von uns etwas. Ich beobachte ein Flugzeug, das hoch oben am Himmel eine weiße Bahn hinter sich herzieht.
»Mum meint auch, dass du dich verändert hast.« Nathaniel wirft mir einen raschen, fragenden Blick zu. »Sie meint, vor wem du auch immer davongelaufen bist ... was auch passiert sein mag ... sie verlieren die Macht über dich.«
Eine Frage schwingt in seinen Worten mit, aber ich reagiere nicht darauf. Ich muss an Iris denken, wie lieb sie gestern zu mir war, wie sie mir erlaubt hat, meinen Zorn, meinen Frust an ihr auszulassen. Dabei hat sie es selbst nicht leicht gehabt.
»Deine Mum ist einfach klasse«, sage ich schließlich.
»Stimmt.«
Ich stelle die Flasche ab und lege mich auf den Rücken. Ich starre in den blauen Himmel hinauf, rieche die Erde unter meinem Kopf, spüre das Kitzeln der Grashalme an meinen Ohren, höre einen Grashüpfer zirpen.
Ja, ich habe mich verändert. Ich kann es selbst fühlen. Ich bin ... irgendwie gelassener.
»Wer möchtest du sein?«, frage ich und wickle einen Grashalm um meinen Finger. »Wenn du weglaufen könntest. Wenn du jemand anders sein könntest.«
Nathaniel schweigt einen Moment lang, den Blick über sein Bier auf den Garten hinaus gerichtet.
»Ich selber«, sagt er schließlich mit einem Achselzucken. »Ich mag mich so, wie ich bin. Ich bin da, wo ich sein will. Ich tue, was ich tun will.«
Ich rolle mich auf den Bauch und blicke zu ihm auf, die Augen vor der Sonne zusammengekniffen. »Aber es muss doch noch was geben, das du gerne tun würdest. Irgendeinen Traum, den du dir noch verwirklichen
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