Goettin in Gummistiefeln
Telefone.
»Warten Sie, ich nehme Ihnen das hier ab«, sagt Lorraine und nimmt Daniels Handy. Sie hebt es ans Ohr und fängt an zu strahlen. »Er singt auch!«, sagt sie und deutet eifrig aufs Telefon. »Samantha?« Mum meldet sich wieder. »Bist du noch da?« »Ich ... sie singen gerade >Happy Birthday< ...« Ich lege das Handy auf den Tisch. Nach kurzem Überlegen legt Lorraine Daniels Handy behutsam daneben.
Das ist meine Geburtstagsfeier.
Zwei Handys.
Die Leute drehen sich zu mir um, doch ihr Lächeln verblasst ein bisschen, als sie sehen, dass ich ganz allein am Tisch sitze. Auch auf den Gesichtern der Kellner zeichnet sich Mitleid ab. Ich versuche mir nichts draus zu machen, doch meine Wangen brennen vor Scham.
Plötzlich taucht auch der Kellner auf, bei dem ich zuvor bestellt hatte. Er hat drei Cocktails auf einem Tablett dabei. Sein Blick huscht verwirrt über den leeren Tisch.
»Für wen war der Martini?«
»An sich für meinen Bruder ...«
»Das wäre dann das Nokia«, meldet sich Lorraine hilfreich zu Wort und deutet auf besagtes Handy.
Kleine Pause - dann stellt der Kellner mit einem professionell-ausdruckslosen Gesichtsausdruck den Martini nebst Cocktailserviette neben das Handy.
Ich hätte am liebsten gelacht - bloß, dass da so ein Stechen in meinen Augen ist und ich nicht sicher bin, ob ich überhaupt kann. Er stellt auch die anderen Cocktails ab, nickt mir zu und verschwindet wieder. Eine verlegene Pause entsteht.
»Also dann ...« Lorraine nimmt Daniels Handy und verstaut es in ihrer Handtasche. »Dann noch alles Gute zum Geburtstag - und einen schönen Abend!«
Während sie auf hohen Absätzen davon trippelt, nehme ich das andere Telefon zur Hand, um mich von Mutter zu verabschieden, doch die hat bereits aufgelegt. Die singenden Kellner haben sich diskret verkrümelt. Ich bin wieder allein. Mit einem Korb Seife.
»Möchten Sie jetzt bestellen?« Der Oberkellner taucht an meinem Tisch auf. »Ich könnte Ihnen das Risotto empfehlen«, sagt er tröstend. »Oder vielleicht einen schönen Salat? Ein Glas Wein dazu?«
»Wissen Sie« - ich ringe mir ein Lächeln ab - »bringen Sie mir einfach die Rechnung.«
Schwamm drüber.
Ehrlich gesagt hätten wir es sowieso nie alle geschafft. Eine verrückte Idee. Wir hätten es gar nicht erst versuchen sollen. Wir sind alle beruflich sehr eingespannt, haben jeder einen stressigen Job, so ist das nun mal in meiner Familie.
Als ich draußen vor dem Restaurant stehe, fährt gerade ein Taxi vor, und ich strecke rasch den Arm raus. Die Tür geht auf und eine abgelatschte, mit Holzperlen bestickte Sandale taucht auf, gefolgt von Cut-Off-Jeans und einem farbenfrohen Kaftan, gekrönt von einem mir nur allzu vertrauten blonden Lockenschopf ...
»Warten Sie hier«, weist sie den Taxifahrer an. »Bin in fünf Minuten wieder da.«
»Freya?« Ich bin fassungslos. Sie wirbelt herum und reißt die Augen auf.
»Samantha! Was stehst du hier draußen?« »Und was machst du hier?«, entgegne ich. »Ich dachte, du wärst längst unterwegs nach Indien.«
»Bin ich auch! Ich treffe mich mit Lord am Flughafen. In ...« Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. »Ungefähr zehn Minuten.« Sie macht eine schuldbewusste Miene, und ich muss unwillkürlich lachen. Ich kenne Freya seit der ersten Klasse, als wir beide in eine Internatsschule kamen. Schon in der ersten Nacht hat sie mir erzählt, ihre Eltern wären Zirkusartisten und sie könne auf einem Elefanten reiten und auf einem Seil balancieren. Ich habe ihr ein ganzes Schuljahr lang geglaubt, wenn sie mir von ihrem exotischen Leben beim Zirkus erzählte. Bis dann schließlich ihre Eltern auftauchten, um sie abzuholen, und sich herausstellte, dass sie stinknormale Buchhalter aus Staines waren. Doch selbst da zeigte sie keine Spur von einem schlechten Gewissen. Sie behauptete einfach, sie wären früher Zirkusartisten gewesen.
Sie hat strahlend blaue Augen und jede Menge Sommersprossen. Da sie ständig auf Reisen ist, ist sie ständig braun gebrannt. Gerade jetzt schält sich ihre Nase ein wenig, und sie hat einen neuen Ohrring, oben an der Ohrmuschel. Sie hat die weißesten, schiefsten Zähne, die ich je gesehen habe, und wenn sie lacht, kräuselt sich eine Ecke ihrer Oberlippe.
»Ich bin gekommen, um in deine Geburtstagsfeier reinzuplatzen.« Freyas Blick schwenkt misstrauisch in Richtung Restaurant. »Ich dachte eigentlich, dass ich zu spät wäre. Was ist los?«
»Naja ...« Ich zögere. »Es ist so ... Mum und
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