Goettinnensturz
auch noch da.
»Welche Suche?«, fragte Jonas.
»Die Monika. Sie wurde nachts vermisst. Und ja, ich habe bei der Suche geholfen.« Kain klang jetzt wie sonst, ganz strenge Moralinstanz. »Alle haben mitgeholfen, die vor Ort waren. Feuerwehr, Polizei, Freiwillige.«
»Was ist genau vorgefallen?«, fragte Jonas in amtlichem Tonfall.
»Ein Grüppchen von Leuten soll unweit vom Festzelt aufs Eis spaziert sein, eine Person wurde vermisst. Wir haben bei der Suche nach ihr einen breiten Bogen gezogen von der Stelle, wo man sie zum letzten Mal gesehen hat, bis Fürberg rüber.« Kain deutete über die lang gezogene Fläche des Sees. »Wir konnten sie leider nicht finden.«
»Gut, darum werde ich mich nachher kümmern«, sagte Jonas, »wir brauchen auf jeden Fall Verstärkung.« Er ging zu seinem Auto, wählte eine Nummer am Handy und lehnte sich gegen den Kotflügel.
»Wollen wir derweil zum Dorfwirt rübergehen?«, schlug Ellen vor. »Der Dicke, du weißt schon, er hockt oft im Gasthaus. Vielleicht haben wir Glück und er weiß was … Der hört viel.«
»Gute Idee.« Berenike trat zu Jonas, der gerade ärgerlich den Kopf schüttelte. Sie wartete, bis er zu ihr hersah. Berenike deutete auf das Gasthaus, auf sich und Ellen, machte mit zwei Fingern eine Bewegung, dass sie rübergehen würden. Jonas nickte und redete schon weiter.
*
»Da bin ich endlich.« Die Schwingtür aus dunklem Holz pendelte noch hinter Jonas, als er an ihren Tisch trat. In der Gaststube standen ebenfalls dunkle Möbel von anno dazumal, es roch nach Sonntagsbraten, nach Kümmel und Knoblauch und nach verschüttetem Bier. Vor allem war es warm herinnen. Berenike rieb sich die kalten Hände. Jonas beugte sich zu ihr, küsste sie mit kühlen Lippen auf die Wange. Sie rutschte auf der dunklen Bank ein Stück, um ihm Platz zu machen. Schwer ließ er sich auf die Sitzfläche fallen, schüttelte sich. »Puh, diese arme Frau! Und dann noch dieses unmögliche Telefonat.«
»Ärger?« Ellen sah Jonas aufmerksam aus großen blauen Augen an. Niemand hatte so blaue Augen zu so schwarzen Haaren wie Ellen.
»Mein neuer Chef, der Herr Hofrat.« Jonas sprach langsam und räusperte sich. »Eigentlich ist er zu jung, um schon Hofrat zu sein. Seit er da ist, ist alles nur noch mühsam. Ständig hat er neue Ideen. Abteilungen werden zusammengelegt und wieder anders auseinandergeteilt. Je nachdem, was auf welchem Kongress grad wie verzapft wird. Der Chef hat allen Ernstes mit erwartungsvoller Stimme gefragt: ›Und wer ist der Tatverdächtige?‹ Als ob die Leiche nicht grad erst gefunden worden wäre.« Jonas lachte auf, es klang hölzern. Berenike legte unter der Tischfläche eine Hand auf sein Knie. Tatsächlich entspannte er sich ein wenig.
»Zumindest schickt er meine Kollegin Mara her«, fuhr er nun sanfter fort. »Ihr kennt sie ja.«
Das konnte man wohl sagen. Mara hatte im damaligen Fall um Berenikes tote Tanzlehrerin wertvolle Spuren entdeckt. Unwillkürlich entstand vor Berenikes Augen das Bild der entzweigesägten Leiche, wie der Oberkörper im Friseurladen zur Schau gestellt worden war. Die roten Haare, das gelbe Hemd, das Blut …
»Der Chef will sogar selbst herkommen«, stöhnte Jonas und Berenike war froh, dass er sie mit seinem Ärger aus ihren Gedanken riss.
Eine blondgelockte Kellnerin in einem hellgrünen Fantasie-Dirndl erschien. »Was derf’s denn sein, der Herr?«, lächelte sie.
Jonas bestellte Kaffee, Ellen und Berenike hatten bereits schwarzen Tee geordert. Hauptsache warm, auch wenn der Geschmack zu wünschen übrig ließ.
Als die Kellnerin hinter der Theke verschwunden war, fuhr Jonas fort: »Wir müssen die letzten Schritte des Opfers rekonstruieren.« Er sah Ellen und Berenike an. »Der Kollege Kain hat von dem Schützenfest erzählt. Ihr wart dort?«
Ablenken – Berenike musste ihn irgendwie von dem Thema ablenken. Nur ein paar Worte zum Thema verlieren, dann von was anderem reden.
»Ich? Nein! Seh ich aus, als würd ich mich in ein Zelt voller Wahnsinniger stürzen? Ich bitte dich. Da braucht man eine Rüstung, um sich zu schützen.« Ellen lachte rau auf und warf Berenike einen Seitenblick zu.
Berenike prustete unwillkürlich laut heraus. »Ein Kampfdirndl, gewissermaßen.«
Jonas verzog den linken Mundwinkel. »Könnte eine Marktlücke sein.«
»Ich bin nur in der Nähe vorbeigegangen«, sagte Ellen, nun ernst. »Es war von einem handgreiflichen Streit die Rede.«
»Ach, und worum ging’s?« Jonas kniff die Augen
Weitere Kostenlose Bücher