Goettinnensturz
Festzelt war zwei Tage bummvoll. Fast jeder, mit dem wir geredet haben, hat sein Kurzzeitgedächtnis im Alkohol ertränkt. Wenn wir nach besonderen Vorkommnissen gefragt haben, gilt sowieso nur: ›nix sehen, nix hören, nix sagen‹.«
»Wie die drei chinesischen Affen.« Wenn sie Glück hatte, traf das auch auf ihr … Erlebnis zu und die anderen hatten ihr Betragen an dem Abend vergessen.
»Nur an die tragischen Ereignisse, nachdem die Monika nicht zurückgekommen ist, erinnern sich alle. Und jeder ist verdächtig! Oder gar keiner!« Jonas seufzte und verstrubbelte seine Haare noch mehr. Es sah dermaßen wild verzweifelt aus, dass Berenike grinsen musste.
»Ellen hat mich zu den Organisatoren des Schützenvereins geführt. Tja, was soll ich dir sagen …«
»Jeder könnt der Mörder sein?« Berenike trug die große Kanne zum Tisch. Von dem Porzellan lächelte Queen Elisabeth sie an.
»So in etwa.«
»Und warum? Haben die echt alle ein Motiv?« Sie verteilte die zur Kanne gehörigen Tassen, auf denen Prince William und Kate abgebildet waren, die neuen Hoffnungsträger der britischen Monarchie.
»Zumindest haben’s kein Alibi. Außer dass sie gefeiert haben.«
»Aus einem Festzelt kann man schließlich schnell mal verschwinden.« Berenike stellte die zum britischen Tee passende Orangenmarmelade auf den Tisch.
»Eben.« Jonas sah sie erwartungsvoll an und griff nach der frischen Biobutter, hergestellt vom Bauern ein paar Häuser weiter, dann nach einer der knusprigen Semmeln, die er extra geholt hatte – früher Morgen hin oder her. Essen hielt Leib und Seele zusammen, war sein Credo. Auch am Morgen nach einem Leichenfund, dann erst recht, hatte er gemeint. Bewundernswert, fand Berenike, der immer gleich schlecht wurde, sobald sie sich nicht gut fühlte. Er aber genoss sein Essen immer. Krachend fuhr sein Messer in die Semmel.
Beim Klappern der Butterdose – eines der seltenen Erbstücke von Berenikes Familie väterlicherseits – kamen prompt alle drei Katzen angetrabt. Miss Marple, der grau-weiße Neuzugang, blieb abwartend hinter den beiden älteren Katern Marlowe und Dr. Watson stehen. Kater Spade, der immer gesund gewesen war, war im letzten Herbst plötzlich krank geworden und nach wenigen Wochen gestorben. Berenike vermisste ihn immer noch, obwohl das kleine Katzenmädchen Miss Marple sie ständig mit Spielen und Schmusen tröstete. Dabei hatte sie sich eine Weile lang viel mehr Sorgen um Dr. Watson gemacht, nachdem der alte Herr im Winter in einen Mordfall verwickelt gewesen war.
Jonas spendete allen Katzen ein Stückchen Butter. Schnurrend und wonnig leckten sie sich nach dem Verputzen des Leckerbissens das Fell. Dann strich er sich Butter auf seine Semmel. Zaghaft kam die Sonne hervor und leuchtete durch das Küchenfenster. Berenike schenkte ein und setzte sich endlich dazu.
»Es haben mehrere Leute ausgesagt, dass Monikas Exfreund Kurt mehrmals ungut um sie herumgeschlichen ist auf dem Fest«, nahm Jonas ihre Unterhaltung von vorher auf. Er betonte zwar immer, dass er sich in Sachen Mordfälle lieber bedeckt hielt – doch ihr Insiderwissen aus dem Ort war wichtig für ihn, weshalb er wohl seine Zurückhaltung aufgab.
»Kurt, der Busunternehmer?«
»Genau der.« Jonas seufzte und griff nach dem Marmeladeglas.
»Vielleicht wollte er noch ein Mal mit Monika reden, um sie von der Trennung abzubringen? Männer und ihre letzten Gespräche. Mit dem Taschenfeitel im Hosensack.«
»Leider, häufig«, stimmte ihr Jonas zu. »Nur konnte ich den Mann nicht befragen. Er ist ausgerechnet jetzt mit einer Reisegruppe auf Tour.«
»Auf den Spuren der Trapp Family durch Salzburg oder so was.« Berenike griff nach dem Milchkännchen. »Amerikaner stehen auf ›Sound of Music‹, diesen alten Schinken. Solche Rundfahrten bringen gutes Geld.« Geld, das Thema, das sie seit der Eröffnung ihres Salons immer wieder einholte. Sie dachte an den neuen Teeladen in Bad Aussee, an die Forderungen von Finanzamt und Sozialversicherung, die unerwartet hoch ausgefallen waren, kaum dass sie mehr Umsätze machte. Sie musste sich was einfallen lassen, damit sich alles doch noch ausging. Hoffentlich würden die Leute weiterhin bei ihr im Salon kaufen. Dumpingpreise wie die Konkurrenz in Bad Aussee konnte und wollte sie allerdings nicht anbieten.
Sie goss Milch in ihre Tasse, very british. Die passte zu guten englischen Teemischungen. Miss Marple war offenbar ebenfalls an Tee mit Milch interessiert und stellte ihre
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