Goettinnensturz
all den Jahren, in denen sie nie wirklich jemandem so nahe gekommen war. Immer noch dankbar, ihn gefunden zu haben, diesen Seelenverwandten.
Als sie ausstiegen, war die Luft warm, genaugenommen zu warm für März, aber nach dem kalten, düsteren Winter umso wohltuender. Und zumindest der Föhnwind hatte nachgelassen. Den Vögeln gefiel das offenbar, denn sie zwitscherten ausgelassen.
Jonas und Berenike schlenderten am Hotel Fürberg vorbei und machten sich in Richtung Sankt Wolfgang auf. Ein schmaler Weg führte direkt am Ufer entlang, das hier nur lose verbaut war. Die Bewegung tat ihr gut, die Muskeln entspannten sich. Sie nahm sich vor, öfter Sport zu machen. Sich die Zeit dafür zu nehmen, wenigstens einmal die Woche.
Sie griff nach seiner Hand, er drückte sie, ließ sie nach ein paar Schritten los. Stumm rannte er voraus, dass sie fast nicht mitkam.
»Sind wir mutig und gehen über den Falkenstein?«, unterbrach Jonas schließlich die Stille. Auf Berenike wartend, stand er bei einem Wegweiser, der steil bergauf zeigte. Wie grell seine Wangen im ansonsten blassen Gesicht leuchteten!
»Meinetwegen, aber was ist mit dir? Du siehst müde aus.«
»Mir geht’s gut, keine Sorge, Nike.«
»Wir können umdrehen und in die Konditorei gehen«, plapperte sie, »ich kenne eine gute in Sankt Gilgen, dort gibt es …«
»Hör auf, Berenike. Bitte.« Er blinzelte in die Sonne, die Ringe um seine Augen ließen ihn noch blasser erscheinen.
»… leckere Pralinen und einmal kann man doch sündigen.« Sie sah zu Jonas auf. Dunkle Jonasaugen. »Es geht dir doch nicht gut. Du hast sicher zu viel Blut verloren, du solltest …«
»Nike! Ich weiß, was ich tue, okay? Das hier schaffe ich. Sei unbesorgt.« Seine Stimme klang rau und genervt.
»Jonas …«
»Los, gehen wir.« Jonas betrachtete kurz den Wegweiser, auf dem außer dem Ziel nichts sonst stand – keine Kilometerangabe, keine Zeitangabe. Leider typisch, man konnte sich nie darauf verlassen. Wortlos stapfte er bergan, schritt rasch aus, vielleicht zu rasch. Sie betrachtete seinen Rücken, wie angespannt und gebeugt er wirkte. Und das war der Mann, der immer viel trainiert hatte! Er drehte sich kurz zu ihr um, wortlos. Schweiß stand auf seiner Stirn. Die dunklen Augen wirkten riesengroß. Als er sah, dass sie ihm nacheilte, stapfte er stumm weiter.
Sie würde den Mund halten. Er war Kriminalpolizist, er war keine 20 mehr, er musste wissen, was er tat. Das hier war nicht ihre Sache. Nicht! Ihre! Sache! Sie wollte schon zu ihm aufholen, streckte eine Hand nach ihm aus – und ließ sie sinken. Wollte sich nicht noch eine Abfuhr holen. Also stapfte sie genauso stumm hinter ihm her. Wenn er mitten in einem Fall steckte, konnte ihn sowieso nichts und niemand von einmal gefassten Entschlüssen abhalten. Nur heute war es anders. Zumindest verbrachten sie ein wenig Zeit miteinander. Vielleicht würde sie später zu ihm durchdringen, wenn sie beide entspannter waren. Es fühlte sich an, als befände er sich gerade auf einem völlig anderen Planeten als sie.
Irgendwann, Berenike war bereits ziemlich warm geworden vom Gehen, blieb Jonas stehen, sah sich aufmerksam nach allen Seiten um. Es hätte idyllisch sein können. Die Sonne lachte, die Vögel tirilierten, und die Luft roch nach Frühling und nach Glück. Helles Grün, duftende Tannen. Selbst ihr Körper fühlte sich locker an, viel lockerer als sonst. Wenn nur Jonas nicht dermaßen stumm gewesen wäre.
Der Aufstieg wurde noch steiler, nichtsdestoweniger setzte Jonas unbeirrt seinen schnellen Weg bergauf fort. Kieselsteine rollten unter seinen Schritten davon, ein Stückchen Fels löste sich, polterte den Abhang hinunter. Ein Bächlein plätscherte an der Seite des Weges, am Rande noch von Eis bedeckt. Sie blieb stehen, genoss den Ausblick über den See, der kühl und bläulich weiß unter ihr lag. Der Tag würde ihnen beiden guttun, und dann würde alles wieder besser werden. Hoffentlich.
»Ob die Monika hier getötet wurde?«, entschlüpfte es ihr; sie ärgerte sich gleich darauf. Hätte sie doch den Mund gehalten!
Jonas fuhr herum. »Woher weißt du …?« Er wischte sich über die schweißnasse Stirn.
»Du wolltest nicht ohne bestimmten Grund hierher kommen, stimmt’s?« Berenike sah Jonas an, wie er da stand, eigentlich nicht mehr konnte und doch weitermachen musste. Sie kannte das gut … zu gut. Dieses Durchhaltenwollen, Durchhaltenmüssen, um jeden Preis. Bis man gar nicht mehr konnte. So war sie
Weitere Kostenlose Bücher