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Goettinnensturz

Goettinnensturz

Titel: Goettinnensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Buerkl Anni
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setzen. Schritt für Schritt, voran durch die steinerne Höhle. Eins werden mit dem Stein. Stein werden. Links, rechts, oben, unten. Kein Ausweichen möglich. Nur der Stein und sie, sonst nichts mehr. Nichts, was wichtig wäre. Außer Jonas wiederzufinden, wiederzusehen.
    Kalter Hauch. Stimmen. Stimmen? Menschen? Geister? Ahnen? Alte, die vor ihr da gewesen sind, durch diesen Felsen gegangen sind?
    Ein Bild von ihrem Vater taucht auf, Fred Stein, der kleine Mann mit seiner Brille. Verschwindet wieder. Weitere Bilder, Menschen, die in fremder Erde ruhen. Menschen, die einmal wichtig gewesen sind, deren Spur sich verloren hat.
    Vielfacher, heißer Atem in Berenikes Nacken. Ein Blick zurück – niemand da. Kein Lebender. Trotzdem: Von allen Seiten eingekreist. Kein Entkommen.
    Ein Schrei – ihr eigener – hallt in ihren Ohren. Viele Schreie. Bilder von Elendsgestalten schieben sich vor ihr inneres Auge. Zerlumpt, abgemagert, blutende Wunden überall, in Ketten gelegt. Sie ziehen voran, sie müssen es, obwohl der Tod sie erwartet. Ihr Tod. Sie sieht es voraus, weiß es, wie diese Gestalten es gewusst haben. Das Flehen in ihren Gesichtern, Augen, die vor Angst geweitet sind. Zu weit, um noch etwas zu sehen. Außer dem Naheliegenden.
    Angst.
    Wie damals.
    Angst vor dem Tod.
    Der vor ihr liegt.
    Jetzt gleich.
    Und die Ahnung davor.
    Dass etwas nicht stimmt.
    Wie jetzt.
    Die Ahnung, der sie nicht hat glauben wollen.
    Die Ahnung, die wahr geworden ist.
    Die Gestalten stürzen vor ihren Augen in den Tod. Schreie, nur noch Schreie. Überall. Berenike hält sich die Ohren zu, die Augen. Das Grauen durchdringt alles.
    Hier ist nur Stein, sagt sie sich, aber in ihr ist kein Glaube daran. Hier sind gefolterte Menschen, die in den Tod getrieben werden. Im Stein ist Geschichte. Böse, gewaltsame Geschichte.
    Ich werde endlich reden, entschließt sie sich. Jonas alles sagen.
    An den Schultern spürt sie eiskalte Felswände wie Finger, die nach ihr greifen. Sie tastet sich daran entlang, als hätte sie den Weg verloren, wo es doch nur den einen gibt. Hinaus, ins Leben – oder ins Sterben. Von allen Seiten die steinerne Kälte, die sie zu erdrücken droht.
    Immer enger ist ihr um die Brust, immer weniger bekommt sie Luft zum Atmen.
    Weitergehen, weiter, verdammt! Sich retten. Kleine Schritte, Kinderschritte. Das Gefühl, etwas von sich hierzulassen. Etwas abzustreifen. Eine Haut. Zu verlieren. Sich verlieren. Leere …
    Und dann ist vor ihr Licht. Sonne, Wärme, Vogelzwitschern, durch einen Felsspalt hinaus ins Freie. Abstreifen. Alles abstreifen, loswerden, was hinter ihr liegt. Wie eine Schlange.
    *
    Die Glieder strecken. Die Arme ausbreiten. Ein paar Schritte um die eigene Achse. Ein Juchzen, das sich ihrer Brust entrang. Irgendwoher ein Jodler, vom Echo immer wieder zurückgeworfen.
    Berenike lachte auf, befreit. Sie spürte dichtes, weiches Gras unter den Fußsohlen. Kraftlos, schwerelos. Sie ließ sich fallen.
    »Jonas!«, rief sie mit neuem Mut. »Ich muss mit dir reden.« Sie blinzelte. Freiheit, Licht, Weite. Davor immer noch der Elendszug, die ausgemergelten Gestalten, schattenhaft. Jonas war nicht zu sehen. Dafür war eine Stimme zu hören.
    »Ein wunderbarer Kraftort, nicht wahr?« Die junge Frau stand plötzlich vor dem Abhang, wie der Erde entwachsen. »Das dachten sicher auch die Heiden, die über diese Klippen in den Tod gehen mussten.«
    Ihre Stimme war kühl, wie unbeteiligt. Berenike fror, obwohl der Himmel immer noch blau strahlte, die Sonne die Wiese beschien. Die junge Frau kam langsam näher. Zu einer schwarzen Bolerojacke mit tiefem Ausschnitt trug sie eine braune, etwas abgewetzte Trachtenlederhose.
    »Na, hat’s dir die Red’ verschlagen?« Die Frau beugte sich zu ihr herab. Ihr Ausschnitt klaffte auseinander, gab den Blick auf zwei wohlgerundete Brüste frei. Nackte Brüste. Helle Haut. Eine große, trapezförmige Männersonnenbrille thronte auf ihrer Nase.
    »Nike? Da bist du ja.« Jonas trat auf Berenike zu. Er streckte die unverletzte Hand aus, sah die Frau in Schwarz an, ließ seine Hand sinken. »Hallo, Franziska.«
    »Ich bin die Franzi.« Sie hielt Jonas eine Hand hin. »Alle nennen mich hier so.«
    »Berenike«, sagte Berenike und schüttelte ihr die Hand.
    »Und ich bin Jonas. Sag«, sein Blick irrte über Franzis Gesicht, flackerte unruhig, blieb an ihrem Dekolleté hängen, »ich habe dich doch in Strobl gesehen, als wir die Leiche bergen mussten.«
    Franzi sah ihn mit schief gelegtem

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