Göttlich verdammt - Angelini, J: Göttlich verdammt
noch ihrer Millionen Zellen bewusst, spürte aber auch etwas Neues. Sie fühlte, wie sie auf etwas wirklich Riesiges zufiel, wusste aber auch, dass sie einen weiteren Sinn besaß, der diesen Fall stoppen konnte.
In Panik setzte sie diesen neuen Sinn instinktiv ein. Sie musstefür Abstand zwischen ihrer kleinen Armee und diesem riesigen Monstrum sorgen, auf das sie hinabstürzte – das Monstrum, wie sie plötzlich erkannte, das sie jede Sekunde ihres Lebens an sich gezogen hatte.
Einen Moment zu spät begriff Helen, dass das Monstrum die Erde war und das Gefühl des Fallens die Schwerkraft – und dass sie sie gerade ausgeschaltet hatte. Ein Schwindelgefühl befiel sie und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Sie griff hektisch nach Lucas und vergrub das Gesicht an seiner Brust. Er war das einzige unbewegliche Objekt im ganzen Universum, und wenn Helen ihn losließ, würde sie für immer und ewig in den Raum davonwirbeln, das wusste sie genau.
»Es ist okay«, flüsterte er ihr ins Ohr. Sein Atem war warm und seine Stimme beruhigte sie. »Ich lass dich nicht los, Helen. Ich verspreche es. Vertraust du mir?« Die Temperatur fiel und heftige Windstöße zerzausten ihr Haar.
Sie presste ihr Gesicht weiter an Lucas’ Brust. Sie sagte sich immer wieder, dass dies der schwierige Teil war, der »schwere« Teil, von dem sie großspurig behauptet hatte, dass sie ihn dem einfachen vorzog.
»Ja«, flüsterte sie und spürte, wie die dünne kalte Luft in ihre Kleidung kroch und ihr die Worte aus dem Mund riss, sobald sie sie aussprach.
»Dann beweise es«, flüsterte er zurück. »Mach die Augen auf.«
Sie blieben in der Luft, bis der Himmel fast ganz dunkel war und Helen so durchgefroren, dass sie nicht mehr aufhören konnte zu zittern. Sie hatte noch viel zu lernen. Der Schwerkraft zu trotzen, war schwierig genug, aber nur ein Teil des Fliegens. Die andere Hälfte war nicht so schwer zu begreifen, aber dafür viel komplizierter. Helen lernte, dass sie nicht einfach mit den Armen oder Beinen rudern konnte, um sich in der Luft fortzubewegen. Sie musste die Luft um sich herum manipulieren. Lucas hatte ihr gezeigt, wie sie die Luft befehligen musste, um sie auf einer Seite dichter und auf der anderen dünner werden zu lassen, sodass eine leichte Strömung um sie herum entstand. Wenn Lucas das machte, sah es so aus, als würde er unter Wasser treiben. Der Wind zerrte nicht an seiner Kleidung oder seinen Haaren, sondern strömte um ihn herum, hielt ihn sanft hoch oder schob ihn zügig vorwärts. Das hing ganz davon ab, wie schnell er fliegen wollte.
Lucas verbrachte den Großteil dieser ersten Flugstunde damit, vor Helen herzuschweben. Seine langen Arme und Beine segelten auf den Strömungen dahin, und er hielt die Finger gespreizt, um Verwirbelungen zu glätten. Seine Arme waren ausgestreckt, um Helen einzufangen, falls sie zu schnell wurde oder von einem Luftpolster glitt, das sie uneben geformt hatte und von dem sie in die Tiefe stürzen konnte. Fliegen war schwierig und Helen hatte noch kein Gefühl dafür entwickelt. Es erforderte Fingerspitzengefühl und volle Konzentration.
Lucas brachte ihr auch bei, was sie tun musste, um nicht von den »Schwerkraft-Geschädigten« gesehen zu werden, wie er die armen, auf der Erde festsitzenden Menschen nannte, auf die sie hinunterschauten. Zu ihrer Verblüffung erfuhr Helen, dass der frühe Abend die gefährlichste Zeit zum Fliegen war. Bei Sonnenuntergang schauten nämlich alle nach oben, um die hübschen Verfärbungen am Himmel zu bewundern.
Ein paarmal musste Lucas sich Helen sogar schnappen und mit ihr auf den Ozean hinausfliegen, damit sie keiner sah. Am Tag zu fliegen, war offenbar generell gefährlich, aber wenn Helen hoch genug flog, würde jeder, der sie entdeckte, sie für einen Vogel halten. Nachts war es natürlich am sichersten – dann konnten sie auch dichter über dem Boden fliegen, was sogar für Lucas superspannend war. Für Helen war das alles superspannend, und als Lucas schließlich sagte, dass es genug für eine erste Flugstunde wäre, fing sie an zu betteln und flehte um weitere fünf Minuten. Lucas musste lachen.
»Glaub mir, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Aber ich bin schon halb erfroren«, sagte er. Helen stieß sich mit einem Lächeln von ihm ab und segelte über seine Schulter und um seinen Rücken und streifte ihn sanft im Vorbeifliegen.
»Morgen?«, fragte sie und fühlte sich schüchtern und kraftvoll zugleich. Lucas drehte sich elegant
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