Gohar der Bettler
hatten, dachte er fieberhaft nach. Ihn des Unverständnisses anzuklagen hieß, ihn in den Dreck zu ziehen, ihm zu verstehen zu geben, daß er ein Dummkopf sei, dem man kein Vertrauen schenken dürfe. Diese Art der Beleidigung bedeutete eine ungeheure Verletzung seines Selbstwertgefühls. Er durfte sie sich nicht tatenlos gefallen lassen.
Er atmete tief durch, blickte nochmals zum Ladeneingang hin - was zu einer echten Zwangshandlung wurde - und sagte dann mit einem Zittern in der Stimme, als ginge es um die Erörterung des Weltuntergangs:
»Wie kannst du nur sagen, ich sei unfähig, dich zu verstehen. Dein Mißtrauen mir gegenüber bricht mir das Herz, mein lieber Samir. Ich möchte gern alles über dich wissen. Es würde mich sehr glücklich machen, wenn es in meiner Macht stünde, dir deine Sorgen zu nehmen. Daran zweifelst du doch hoffentlich nicht.«
»Du bist sehr liebenswürdig, Herr Offizier«, sagte der junge Mann lächelnd. »Ich habe aber keine Sorgen.«
»Was verbittert dich dann so sehr? Verzeih, aber ich glaubte, deinen Worten entnommen zu haben, daß es um die Beziehung zu deinem Vater nicht zum besten bestellt ist.«
»Erwähne diesen Mann nicht. Ich hasse ihn.«
Nour El Dines Bestürzung drückte sich in einem grotesken Mienenspiel aus. Er hatte sich also nicht getäuscht; es war tatsächlich Haß gewesen, den er im Blick Samirs erkannt zu haben glaubte.
»So weit ist es schon gekommen! Du überraschst mich, mein lieber Samir. Wie kannst du nur deinen eigenen Vater hassen?«
»Willst du es wirklich wissen? Nun, das ist ganz einfach: mein Vater ist ein Kerl von deiner Sorte.«
»Was willst du damit sagen?« fragte Nour El Dine und wurde dabei ganz bleich.
»Nein, nein! Es ist nicht das, was du glaubst. Mein Vater hält es eher mit den Frauen. Deine Ähnlichkeit mit ihm hat einen tiefer gehenden und auch verabscheuenswürdigeren Ursprung.«
»Ich muß zugeben, daß ich dich nicht recht verstehe.«
»Ich sagte dir ja, daß du es nicht verstehen würdest. Das spielt aber auch überhaupt keine Rolle.«
Zum ersten Mal sprach er mit jemandem über seinen Vater, und daß es ausgerechnet mit diesem schwulen Offizier war, der sich um sein Ansehen sorgte, schien ihm ein Wink des Schicksals zu sein. Wer anders als Nour El Dine wäre besser dazu geeignet gewesen, den furchtbaren Ausbruch dieses Hasses nicht nur auf seinen Vater, sondern auf alle Ausdrucksformen des bürgerlichen Lebensideals über sich ergehen zu lassen? Repräsentierte er nicht die bewaffnete Stütze, den ruchlosen Söldner dieser Kaste verkleideter Mörder, die noch blutrünstiger waren als Schakale in der Wüste? Samir war fast ausschließlich in Gesellschaft seiner älteren Brüder groß geworden, die, von Ehrgeiz beseelt, denselben Karriereweg eingeschlagen hatten wie ihr ehrenwerter Vater. Er selbst war nur knapp der unheilvollen Verlockung einer bequemen und unbeschwerten Zukunft entgangen. Wollte er nicht ein berühmter Anwalt werden? Und doch fühlte er sich seit seiner frühesten Kindheit wie ein Fremdkörper in diesem niederträchtigen und schäbigen Milieu. Sein Wunsch, ein berühmter und angesehener Mann zu werden, währte nur kurz. Eines Tages war er mit einem Gefühl des Ekels aufgewacht.
Derart ernüchtert, igelte er sich für lange Zeit in einem Zustand der Verachtung ein. Verachtung war aber eine bloß negative Einstellung, die zu nichts führte. Die Angst davor, inmitten dieser ruhmreichen und selbstgefälligen Verderbtheit seine Jugend zu vergeuden, ließ einen unerbittlichen Haß in ihm entstehen. Unwiderstehlich keimten in seinem Kopf Mordgedanken. Das Leben solch ruchloser Menschen auszulöschen schien ihm eine Aufgabe, gar eine Mission von außergewöhnlicher Bedeutung zu sein.
Für ihn war der Augenblick gekommen, in dem er handeln mußte. Trotzdem zögerte er noch bei der Wahl seines ersten Opfers. Mit wem sollte er anfangen?
»Ich denke, ich werde ihn eines Tages umbringen.«
»Wen?«
»Meinen Vater natürlich! Und weißt du, welcher Gedanke mir dabei am meisten Vergnügen bereitet? Daß es vielleicht an dir sein wird, mich festzunehmen. Sag mal, Herr Offizier, würdest du das tun, trotz der Liebe, die du für mich empfindest?«
Tief ins Herz getroffen, senkte Nour El Dine den Kopf.
»Bei Allah! Du verlierst den Verstand«, sagte er in einem Atemzug.
Der Dunst, der sein Gehirn umnebelte, wurde dichter; er hatte den Eindruck, als würde er seit einer Ewigkeit in einen Brunnen ohne Grund stürzen.
Weitere Kostenlose Bücher