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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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Irgendwo draußen rief ein Kind etwas Unanständiges; ein hungriger Hund bellte schwach; die Glocke einer in der Nähe vorbeifahrenden Straßenbahn tönte wie ein Alarmsignal. Alle diese Geräusche drangen zu ihm wie durch einen Nebel, sie ähnelten den Klängen einer fremden und entlegenen Welt. Er hob den Kopf wie ein Ertrinkender, zog am Kragen seines Gehrocks, nahm dann eine steife Haltung an und starrte auf eine Stelle der von Rissen überzogenen Wand des Ladens, wo die Überreste einer naiven Wandmalerei zu erkennen waren, die eine volkstümliche Hochzeit darstellte. Man erkannte noch den Bräutigam, der von zwei Freunden geleitet wurde, die Blumensträuße trugen und denen uniformierte Musikanten vorausgingen. Eine offene Kutsche, in der dichtgedrängt die Gäste saßen, folgte dem Zug. Die Farben waren fast vollständig verblaßt, aber die Umrißlinien hatten noch ihre ursprüngliche Frische behalten.
    Der junge Mann war dem Blick Nour El Dines gefolgt. Er lächelte.
    »Das wäre doch eine kluge Entscheidung«, sagte er.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Du solltest heiraten, Herr Offizier.«
    Nour El Dine steckte den Schlag mit stoischem Gleichmut weg. Die einzige angemessene Reaktion auf diesen so offensichtlichen und gemeinen Tiefschlag hätte der sofortige Bruch sein müssen. Aber mit Samir zu brechen war etwas, wozu er sich nicht entschließen konnte. Er hatte sich dieser Leidenschaft ganz und gar hingegeben; was auch immer noch passieren sollte, er würde bis zum Letzten gehen.
    Er mußte sich dieser Verhöhnung entziehen! Diesem verdammten Ort entfliehen, wo sich alles gegen ihn verschwor, um ihm eine Niederlage zuzufügen! Eher die Verzweiflung als die Hoffnung verlieh ihm den Mut zu fragen:
    »Möchtest du nicht heute abend zum Essen zu mir kommen?«
    »Nein«, antwortete Samir.
    »Weshalb? Willst du mich nicht mehr sehen?«
    »Wenn es dir nur darum geht, mich zu sehen, dann kannst du mich in ein Restaurant einladen.«
    »Ich würde aber gern mit dir allein sein. Empfindest du überhaupt keine Freundschaft für mich? Gib dir einen Stoß, mein lieber Samir, sei ein Mann!«
    Samir schien einen Moment lang zu zögern, dann fing er lauthals zu lachen an; zum ersten Mal lachte er freimütig auf.
    Der Konditor wandte ihnen sein großes fettglänzendes Gesicht zu und sah sie mit vor Erstaunen weitaufgerissenen, schleimigen Augen an. Schon blieben zwei oder drei Passanten am Eingang des Geschäfts stehen. Sie erregten Aufsehen! Das war es, was Nour El Dine am meisten fürchtete.
    »Beruhige dich! Ich bitte dich inständig, errege kein Aufsehen.«
    »Herr Offizier«, sagte Samir, »deine Logik ist umwerfend! Du willst also mit mir schlafen und gleichzeitig soll ich ein Mann sein! Ehrlich, ich muß dir sagen, daß ich so etwas Komisches noch nie gehört habe.«
    »Du hast mich nicht verstanden«, beteuerte Nour El Dine. »Darum geht es wirklich nicht. Mein lieber Samir, ich glaube, daß es da zwischen uns ein Mißverständnis gibt.«
    Er stand auf, rückte seinen Tarbusch zurecht und setzte «einen entschlossenen Gesichtsausdruck auf.
    »Verzeih, aber ich muß gehen. Die Pflicht ruft. Wir werden uns bei anderer Gelegenheit Wiedersehen. Gehab dich wohl!«
    Stolz und mit zusammengezogenen Augenbrauen ging er am verblüfften Konditor vorbei und verließ das Geschäft.
    Jetzt hatte er es eilig, schlich sich durch das Labyrinth der Gäßchen hindurch, wobei er an unzähligen Hütten aus Holzbrettern und leeren Benzinkanistern vorbeikam. Er hatte wieder seine martialische und siegessichere Haltung angenommen, aber in diesem verrufenen Viertel beeindruckte seine Polizeioffiziersuniform niemanden. Um die Polizei zu fürchten, muß man etwas zu verlieren haben; und hier besaß niemand etwas. Überall herrschte vollkommenes unmenschliches Elend; der einzige Ort der Erde, an dem ein Vertreter der Staatsgewalt über keinerlei Möglichkeit verfügte, sich Respekt zu verschaffen. Nour El Dine kannte die Mentalität der Einwohner hier aufs genaueste; er wußte, daß sie durch nichts zu erschrecken oder aus ihrem merkwürdigen Dämmerzustand herauszuholen waren. Sie hegten weder Groll noch Feindseligkeit, nur eine stillschweigende Geringschätzung, eine enorme Verachtung gegenüber der Macht, die er repräsentierte. Man hätte meinen können, sie wüßten nicht um die Existenz einer Regierung, einer Polizei oder einer mechanisierten und fortschrittsorientierten Gesellschaft. Diese für die analphabetischen

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