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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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Bevölkerungsschichten typische Gesinnung verletzte Nour El Dine im tiefsten Inneren seines Wesens, da sie ihm die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen vergegenwärtigte. Er war außerstande, diese Starrsinnigkeit, diese Weigerung zur Zusammenarbeit nicht als eine persönliche Beleidigung aufzufassen. Bei jedem seiner Schritte hatte er den Eindruck, als würde man ihm ins Gesicht spucken. Er schwitzte, ein immer größer werdendes Unbehagen peinigte ihn. Seine Nervosität verwandelte sich alsbald in Panik, und er fing kopflos zu rennen an. Aber sogleich verlangsamte er sein Tempo wieder, verfluchte sich selbst und schalt sich einen Dummkopf. Diese Hurensöhne würden ihm doch keine Angst einjagen. Er bekam seine Nerven in den Griff, beschloß, leichten Schrittes weiterzugehen und richtete die Augen geradeaus wie jemand, der nachdenkt und über die Dinge erhaben ist.
    Diese zur Schau gestellte überlegene Haltung wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden. Da er nur geradeaus blickte, trat er in eine Wasserpfütze, rutschte aus und wäre um ein Haar der Länge nach hingefallen. Kopflos und mit unkontrollierten Bewegungen flüchtete er sich in die Nähe einer Hütte und nahm seine Schuhe sowie seine Hosenbeine in Augenschein, die mit Schlamm bespritzt waren. Das Gefühl der Scham, des nicht wiedergutzumachenden Verlusts an Ansehen, ließ ihn einen Moment lang wie gelähmt verharren, ohne daß er es gewagt hätte, seinen Kopf zu heben. Was für ein lächerliches Schauspiel mußte er diesen Elenden bieten? Ihn packte die Wut, und er fluchte leise vor sich hin. Vor Zorn bebend, richtete er sich wieder auf darauf gefaßt, daß ihm Spott und Gelächter entgegenschallen würden. Aber nein, niemand lachte. Und doch war es schlimmer, als hätten sie sich über ihn lustig gemacht. Die Kränkungen Samirs, die ihm noch im Kopf herumgeisterten, waren nichts im Vergleich zu diesen in ewiger Fassungslosigkeit erstarrten Blicken, die auf ihm ruhten, als würden sie ihm den höheren Auftrag streitig machen, ihm das Kleidungsstück, das allein ihn unantastbar machte, entreißen wollen. Gegen den Haß Samirs, gegen seinen Sarkasmus konnte er sich wenigstens wehren, wie aber sollte er auf diese ungeheure Gleichgültigkeit reagieren, die grausamer war als der unerbittlichste Haß. Nichts an ihrem Verhalten deutete auf Ablehnung oder Empörung hin. Es schien, als würden sie ihn wie einen räudigen Hund betrachten, wie einen Wurm. Wieso bewarfen sie ihn nicht mit Steinen? Nour El Dine wartete auf eine Reaktion, aber nichts geschah. Sie verharrten in ihrer Regungslosigkeit und ihrer morbiden Gleichgültigkeit. Erst als er seinen Weg fortsetzte, geschah etwas Verblüffendes. Ein etwa sechsjähriges Mädchen mit dreckverschmiertem Gesicht, das in der Mitte des Gäßchens stand, hob den Saum ihres Kleides und bot ihm mit einer Geste von rührender Einfachheit ihr Geschlecht dar. Nour El Dine erblaßte und schien einen Moment lang zu wanken; dann wandte er den Kopf ab und machte sich so schnell es ging davon.
    Er rätselte über den Sinn dieser grauenerregenden Szene. Es schien ihm, als entstammte die Geste des kleinen Mädchens einem wilden und unbegreiflichen Universum. Ein bizarrer Vorgang, der die Grenzen des Verstandes überschritt und unmittelbar dem Abfall und der jahrhundertealten Verderbtheit entsprang. »Verfluchte Brut! Bin ich denn dazu verurteilt, mein ganzes Leben unter diesen Ausgestoßenen zu verbringen?« Als er an die Rolle dachte, die er in diesem grotesken Drama spielte, stieg eine Woge der Verbitterung in ihm auf und schnürte ihm den Hals zu. Welch alberne Rolle, wahrlich! Was dachte sich die Regierung eigentlich dabei, ihn mit einer so undankbaren Aufgabe zu betrauen? Welches Recht konnte sich auf diesem Müllhaufen, diesem Feld des Todes und der Verzweiflung Geltung verschaffen? In dieser grauen und schleimigen Masse nach einem Straftäter zu suchen, selbst wenn es sich um einen Schwerverbrecher handelte, war absurd. Man hätte sie alle einsperren müssen. Nour El Dine machte sich überhaupt keine Illusionen; er wußte, daß sie mächtiger waren. Jahrelang hatte er diese traurige Erfahrung gemacht. Diesem unabänderlichen Elend, dieser Weigerung, am Schicksal der zivilisierten Welt teilzuhaben, wohnte eine solche Kraft inne, daß keine Macht der Welt damit fertig werden konnte.
    Er erinnerte sich daran, daß er es im Augenblick deshalb so eilig hatte, weil er einen Verbrecher verfolgte, und er begann zu grinsen. Diese

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