Gohar der Bettler
Zeitungen berichtete man seinerzeit sehr ausführlich darüber. Es ging um eine Dirne, die erstochen worden war. Bei der Autopsie stellte der Gerichtsmediziner fest, daß sie Jungfrau war. Und das Lustigste daran ist, daß sie ihrem Gewerbe seit mehr als zwanzig Jahren nachging. Was hältst du davon?«
»Unglaublich!« staunte Gohar.
»Nicht wahr? Es geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Eine jungfräuliche Hure! Du mußt zugeben, daß man niemandem trauen kann.«
»Sogar der Hintern einer Hure birgt Überraschungen«, sagte Gohar. »Er kann die Welt in Erstaunen versetzen.«
»Ich bin beeindruckt von deiner Lebensweisheit. Ich glaube, du bist ein Mann, der das Leben kennt.«
Der Polizist stieß ein lautes und vulgäres Lachen aus, umarmte seine Begleiterin und küßte sie wie ein wildes Tier auf den Mund. Akila, die ziemlich durchtrieben war, brachte ihn So sehr in Wallung, daß ihm offensichtlich der Atem ausging. Bald schon konnte er sich kaum mehr zurückhalten und willigte ein, sie auf ihr Zimmer zu begleiten.
»Bis gleich, Gohar Effendi!«
»Dein ergebener Diener.«
»Hat er sich endlich doch durchgerungen, dieser Mistkerl!« triumphierte Set Amina. »Jetzt amüsiert er sich wenigstens nicht bei mir, ohne dafür zu bezahlen.«
Gohar widmete sich wieder seinen Berechnungen, aber er war von Dankbarkeit erfüllt. Einmal mehr offenbarte das Drama seine lächerliche Seite. Warf die unerwartete Jungfräulichkeit des Leichnams einer ermordeten Dirne nicht ein bezeichnendes Licht auf das Drama? Gohar hatte des Rätsels Lösung gefunden. Sollte man diese irrwitzige Welt etwa ernst nehmen? Genau darin hatte sein Wahnsinn bestanden. Lange Jahre des Wahnsinns.
»Ich wußte, daß ich dich hier finden würde, Meister! Ich muß dir etwas sehr Ernstes mitteilen.«
Die Aufmachung El Kordis bei seinem Erscheinen in dem Werteraum war außerordentlich bemerkenswert: den Tarbusch hatte er bis zu den Ohren heruntergezogen und die untere Gesichtshälfte mit einem Taschentuch bedeckt, das er fest andrückte, so als würde er eine blutende Wunde stillen.
»Was hast du, mein Sohn? Bist du verletzt?«
Als sei er nun in Sicherheit vor den gemeinen Blicken seiner Henker, nahm El Kordi das Taschentuch vom Gesicht, steckte es in seine Tasche und setzte sich neben Gohar.
»Nein, ich habe nichts«, sagte er, indem er sich zu ihm hinüberbeugte. »Ich versuche nur, unerkannt zu bleiben.«
»Wozu diese Geheimnistuerei?«
»Ich werde observiert, Meister! Sie wissen, daß ich ein Revolutionär bin.«
»Wer?«
»Die Polizei natürlich! Man läßt mich beschatten. Dessen bin ich mir vollkommen sicher. Hör zu, was ich dir zu erzählen habe, Meister! Heute abend habe ich die Straßenbahn genommen, um ins Europäische Viertel zu fahren. Es herrschte ein unbeschreibliches Gedränge. Ich saß vollkommen eingezwängt; noch nicht einmal den kleinen Finger konnte ich rühren. Ich begann schon langsam in meiner Ecke die Geduld zu verlieren, als ich plötzlich bemerkte, daß ein Mann, der mir gegenübersaß, mich beharrlich ansah. Es war furchtbar. Der Mann war einäugig, und mit seinem blinden Auge beobachtete er mich. Kannst du dir meinen Schrecken vorstellen?«
»Wie kommst du darauf zu glauben, daß es sich um einen Polizisten handelte? Vielleicht war er einfach nur ein einäugiger Mann und weiter nichts.«
»Laß mich erzählen, wie es weiterging. Eine völlig verrückte Geschichte. Als der Schaffner die Fahrkarten sehen wollte, antwortete der Mann - zweifellos aus einem dummen Reflex heraus Geheimpolizei. Einfach so.«
»Sehr lustig!« sagte Gohar. »Ich hoffe, du bist in Gelächter ausgebrochen.«
»Wie hätte ich lachen sollen, Meister? Ich bin sofort aus der fahrenden Straßenbahn gesprungen.«
»Was hast du eigentlich im Europäischen Viertel zu suchen gehabt?« fragte Gohar.
»Ich habe es dir letztens bereits gesagt. Ich bin fest entschlossen, alles zu tun, um Geld aufzutreiben. Ich bin mit der Absicht ins Europäische Viertel gefahren, ein Juweliergeschäft in der Avenue Foaud auszurauben.«
»Und, ist es dir gelungen?«
»Es war nicht so einfach, wie ich dachte«, sagte El Kordi bitter. »Ich glaube, daß es niemand schaffen kann.«
Im Grunde genommen dachte er gar nicht mehr an das Schaufenster voller unerreichbarer Schmuckstücke, sondern an sein verpaßtes Abenteuer mit der jungen Frau. Eine Droschke hatte sie nehmen wollen. Unverschämte Kreatur! Einen Augenblick lang dachte er daran, Gohar von dieser Begegnung zu
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