Gohar der Bettler
Hotelier. »Schlaf gut.«
Yeghen zog sich im Dunkeln aus und legte sich ins Bett. Er schlief sehr schnell ein und begann zu träumen. Er träumte, ein allmächtiger Polizist zu sein, der das Kommando über eine ganze Schar von Rohlingen führte, die mit Schlagstöcken ausgerüstet waren. Er fürchtete niemanden mehr. Er war der unbestrittene Herrscher der Straße. Er war es, der jetzt auf die Armen einschlug. Auf seinem Weg säte er Angst und Schrecken, und all die Elenden flüchteten, wenn er in ihre Nähe kam. Er sah sich, wie er eine kleine und häßliche Figur verfolgte, die niemand anderes war, als er selbst. Schließlich bekam er sie zu fassen, und genau in dem Moment, da er sie mit dem Knüppel niederschlug, spürte er einen fürchterlichen Schmerz, der seinen Körper durchfuhr.
Yeghen wachte auf wobei er einen gellenden Schrei ausstieß. Im Zimmer herrschte eine schneidende Kälte. Er machte eine Bewegung, um das Deckbett wieder zu sich heranzuziehen, aber zu seiner großen Überraschung stellte er fest, daß es verschwunden war. Die Verblüffung nahm ihm den Atem: er verstand einfach nicht, was mit dem Deckbett passiert war. Mit aller Kraft rief er nach dem Hotelier.
Eine Ewigkeit verging, aber niemand antwortete. Yeghen rang nach Luft; er saß auf dem Bett und verschränkte die Arme über der Brust, um sich vor der Kälte zu schützen. Er wollte gerade noch einmal rufen, als die Tür sich öffnete und der Hotelier mit einer Petroleumlampe in der Hand im Türrahmen erschien. Vorsichtigen Schrittes, einen Finger auf den Mund gelegt, trat er näher.
»Wo ist das Deckbett?« schrie Yeghen. »Was ist denn das für eine Geschichte?«
»Es ist nichts«, flüsterte der Hotelier. »Ich lasse gerade einen anderen Gast damit einschlafen. Sobald er eingeschlafen ist, bringe ich es dir zurück, bei meiner Ehre! Aber bitte, ich flehe dich an, mach keinen Skandal.«
Jetzt verstand Yeghen, was passiert war, während er schlief. Der Hotelier mußte in sein Zimmer gekommen sein und ihm das Deckbett weggenommen haben, um es einem neu angekommenen Gast zu geben. Dieses unglaubliche Vorgehen verblüffte ihn völlig.
»Sie haben nur ein Deckbett für das ganze Hotel?« fragte er.
»Aber nein!« sagte der Hotelier immer noch flüsternd. »Das hier ist ein erstklassiges Hotel; wir haben drei Deckbetten. Allerdings haben wir auch viele Gäste.«
»Ich verstehe«, sagte Yeghen. »Was machen wir jetzt? Mir ist nämlich kalt. Und ich möchte schlafen. Ich will das Deckbett.«
»Es dauert nur einen Augenblick«, sagte der Hotelier. »Bei meiner Ehre, ich bringe es dir gleich zurück. Der Gast, dem ich es gegeben habe, war sehr müde; er schlief bereits im Stehen ein. Er muß jetzt schon ganz tief schlafen. Rühr dich nicht von der Stelle! Ich werde nachsehen. Und schrei um Himmels willen nicht so.«
Der Hotelier schlich auf Zehenspitzen hinaus und nahm die Lampe mit. Vor Kälte zitternd blieb Yeghen im Dunkeln zurück. Er hörte, wie der Hotelier nebenan eine Tür öffnete; zweifellos handelte es sich um das Zimmer des neuen Gastes. Yeghen begann zu murmeln: »Hoffentlich ist er eingeschlafen. Mein Gott, mach, daß er eingeschlafen ist!« Dann brach er in ein schrilles Gelächter aus, das wie ein Anflug von Wahnsinn durch das ganze Hotel schallte.
Der Polizist, der die ganze Bande aufs Revier gebracht hatte, gab konfuse Erklärungen ab, aber Nour El Dine hörte ihm überhaupt nicht zu. Er konnte sich einfach nicht an seine Stelle versetzen; das alles lag seinem eigenen Denken so fern. Diese Geschichte mit der Schlägerei in einem Cafe wurde immer verworrener. Wer hatte mit der Schlägerei angefangen? Niemand wußte es. Nour El Dine verfolgte von seinem Schreibtisch aus die ganze Szene mit unsagbar verächtlichem Blick. Manchmal seufzte er laut, wie jemand, der völlig entnervt ist und kurz davor steht, eine Verzweiflungstat zu begehen. Da standen sie nun in einer Reihe vor ihm: drei breitschultrige Männer mit groben Händen - wahrscheinlich Fuhrleute - und eine abgemagerte Gestalt mit blutigem Gesicht, deren Kleidung aus Lumpen bestand. Nach Angaben des Polizisten handelte es sich um einen Bettler. Er stand erhobenen Hauptes da und fixierte den Polizeioffizier durch seine verschwollenen Augen mit einer Art herausfordernder Überheblichkeit.
Nour El Dine entschloß sich schließlich, ihn zu befragen:
»Sind das die Männer, die dich geschlagen haben? Erkennst du sie wieder?«
Der Mann mit dem blutigen Gesicht zuckte
Weitere Kostenlose Bücher