Gold und Stein
Woche durften wir zweimal wöchentlich brauen, um die fehlenden Vorräte aufzufüllen. Dabei weiß jeder, wie schlecht sich im Sommer brauen und Bier lagern lässt. Zudem gibt es im Löbenicht nicht ausreichend Braupfannen. Für kurze Zeit haben uns die Altstädter und Kneiphöfer welche geliehen.«
Sie krempelte die Ärmel ihres dünnen Leinenkleids hoch. Die Hitze in der Diele war kaum mehr auszuhalten. Dabei stand ihnen der anstrengendste Teil des Brauens noch bevor: das Kochen der Würze. Schwer atmend wedelte sich Agatha mit den Händen frische Luft zu.
»Mit Euren Hopfenvorräten wird es langsam eng. Die beste Ernte ist wohl schon aufgebraucht«, stellte Agnes fest.
»Wie kommst du darauf?« Überrascht begutachtete Agatha die Säcke. »Der Preis war hoch. Es muss ausgezeichneter Hopfen sein. Das hat der Hopfenhändler mir versprochen, und auch die Aufseher auf dem Markt haben zugestimmt.«
»Verzeiht. Aber wie Ihr wisst, bin ich von klein auf beim Brauen dabei«, hob Agnes vorsichtig zu einer Erklärung an. »Gleich habe ich gesehen, dass man Euch nicht die beste Ware gegeben hat. Die Dolden scheinen mir sehr spät geerntet. Das macht sie womöglich bitter. Vielleicht haben wir Glück. Lasst uns lieber weitermachen, sonst verpassen wir den rechten Zeitpunkt, den Hopfen der Würze beizugeben. Dadurch wird der Geschmack des Bieres erst recht verdorben. Dann wird es zu bitter, und keiner von uns mag es trinken. Ihr aber wollt doch gewiss kein teures Bier von anderen kaufen?«
»Ich sehe schon, du verstehst dein Handwerk.« Schmunzelnd griff die Muhme nach dem Hopfen.
»Ihr dürft ihn nicht zu eilig hinzugeben!«, hielt Agnes sie davor zurück, die Dolden schwungvoll in die frisch aufsprudelnde Würze zu geben. »Seht, die Würze hat noch kaum gekocht. Gebt Ihr ihn jetzt schon dazu, kocht er zu lange mit, und das Bier wird am Ende wirklich bitter schmecken.«
»Aber wenn ich ihn jetzt gleich hineingebe, kann ich ihn besser nutzen. So brauche ich weitaus weniger Hopfen für den gesamten Bottich. Zudem hält das Bier am Ende länger. Das ist jetzt im August sehr wichtig. Meine Schwester hat es mir so beigebracht.«
Ehe Agnes einschreiten konnte, gab Agatha den Hopfen in die Pfanne. Nach einer Weile stellte sie den Sack ab und rührte um. Schweigend beobachtete Agnes die zierliche Frau. Ganz wie ihr Neffe versank auch sie völlig in der gerade zu erledigenden Aufgabe. Zwar ging sie beim Brauen mit weitaus weniger Leidenschaft als Gunda zu Werke, doch zumindest bemühte sie sich, die Vorgaben ihrer verstorbenen Schwester zu befolgen. Agnes bedauerte, Laurenz’ Mutter nicht mehr kennenlernen zu können. Sie musste eine außergewöhnliche Frau gewesen sein. Wie sie wohl ausgesehen hatte? Abermals versank sie in der Betrachtung der Muhme. Seltsam, dass Agatha wie auch Laurenz verschiedenfarbige Augen besaßen. Nie zuvor hatte Agnes so etwas gesehen.
»Träumst du?« Agathas Stimme riss sie in die Wirklichkeit zurück.
»Nein, nein«, beeilte sie sich zu versichern. Hastig schickte sie sich an, ihr wieder aufmerksam zur Hand zu gehen.
»Du weißt also nichts von deinem Bruder«, hakte Agatha unerwartet nach und übergab ihr den Löffel, um weiter die Würze zu rühren.
»Wahrscheinlich ist er früh gestorben«, erwiderte Agnes.
»Oh, wie schrecklich!« Die Muhme schüttelte den Kopf. »Das Schicksal hat deiner Mutter wahrlich übel mitgespielt: Erst raubt es ihr den Mann, dann verliert sie Haus und Besitz, und schließlich stirbt ihr noch der Sohn.«
»Sie hatte mich«, warf Agnes trotzig ein. »Allein ist sie nie gewesen.«
Schweigend stemmte Agatha sich die Hände in die schmalen Hüften. Ihr Blick schweifte ab.
»Was genau ist meinem Vater zugestoßen? Wieso hat meine Mutter alles hier im Löbenicht verloren?« Agnes’ Herz klopfte wild. Sie zwang sich, sich ganz auf das Rühren zu konzentrieren. Krampfhaft umklammerten die Finger ihrer rechten Hand den Stiel des großen Rührlöffels. Mit der Linken richtete sie das helle Tuch an ihrem Hals.
»Es heißt, er sei unglücklich im Haus gestürzt. Die Treppe war steil und eng. Leider gab es danach Streit ums Erbe, und man hat deiner Mutter alles weggenommen. Dabei hat Kelletat außer ihr keine Familie gehabt. Meine Schwester hätte dir das alles gewiss besser erzählen können als ich.«
Eine Zeitlang schwiegen sie. Aus der Werkstatt drang das muntere Singen der Mägde herüber. Draußen auf der Straße rumpelte ein eisenbeschlagener Karren vorbei.
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