Gold und Stein
»Scher dich fort, du Lump!«, hörte man jemanden schimpfen, ein anderer hielt dagegen: »Geh zum Teufel, du Hurensohn!«
»Ich kann verstehen, dass deine Mutter dir nichts erzählt hat«, nahm Agatha das Gespräch wieder auf. »Es ist einfach zu traurig. Stell dir vor: so eine junge Frau, gerade eben erst von Zwillingen entbunden, die der Vater zum Glück sofort als seine Kinder angenommen hat, und schon steht sie plötzlich trotzdem mutterseelenallein und völlig mittellos da! Das heißt, ganz allein war sie nicht. Ihre Mutter war damals bei ihr, wie meine Schwester mir erzählt hat. Hast du deine Großmutter kennengelernt?«
»Ja, natürlich. Sie lebt noch immer bei uns in Wehlau.«
Wehmut erfasste Agnes. Deutlich sah sie Lores Gesicht vor sich, wie sie ihr beim Abschied vor zwei Wochen fest die Hände gedrückt und um Verständnis für Gunda gebeten hatte. »Es gibt einen Grund für ihr Verhalten«, hatte sie ihr versichert. »Alles, was sie je getan hat, hat sie aus Liebe zu dir getan.«
»Warum habt Ihr das eben mit meinem Vater so betont?«
»Was? Dass er die Zwillinge gleich angenommen hat?« Agatha biss sich auf die Lippen. »Du weißt doch, was es heißt, wenn eine Frau zwei Kinder zugleich …«
»Dann soll sie mit zwei Männern das Lager geteilt haben«, ergänzte Agnes. »Meint Ihr, das wäre es, wovor meine Mutter solche Angst gehabt hatte: Dass man herausfand, sie hätte ihren Gemahl betrogen?«
»Lass uns den Sud vom Feuer nehmen«, unterbrach Agatha ihre Gedanken. »Er kocht lange genug.«
Mit vereinten Kräften hoben sie den Bottich vom Herd und rückten ihn in einen dunklen, kühleren Winkel der Diele. Die Muhme beeilte sich, anschließend den Kessel mit der Suppe über das Feuer zu hängen.
»Viel kann ich dir nicht über Kelletat und deine Mutter erzählen. Meine Schwester hat zwar immer wieder von der ungewöhnlichen Niederkunft, aber nur sehr wenig von ihrem weiteren Schicksal erzählt. Ich war in jenen Jahren selbst zu sehr damit beschäftigt, nach dem Tod meines Gemahls für meine Tochter und mich zu sorgen. Wir mussten aus der Mühle weg und sind deshalb in den Löbenicht zu meiner Schwester gezogen. Hier habe ich meine Bortenmacherwerkstatt aufgebaut und von meiner Schwester das Bierbrauen gelernt. Dabei war sie wohl doch keine so gute Lehrmeisterin, wie ich immer geglaubt habe.« Sie zwinkerte Agnes zu. »Meine Tochter ist so alt wie Laurenz. Die beiden sind wie Geschwister aufgewachsen.« Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Eine Zeitlang habe ich gehofft, Laurenz würde Gisa eines Tages zur Frau nehmen. Doch Fortuna hatte andere Pläne mit den beiden. Meine Gisa hat einen tüchtigen Müllerburschen aus Rauschen kennengelernt. Gisa und Ludwig sind ein prächtiges Paar. Kein Wunder, haben die Burschen von dort das Herz doch allesamt auf dem rechten Fleck. Drei Kinder haben sie schon, zwei Mädchen und vor wenigen Wochen ist ein Junge dazugekommen. Besser hätte es meine Tochter nicht treffen können. Jetzt bleibt mir nur zu hoffen, dass auch der gute Laurenz bald sein Glück finden wird. Ich wünsche es ihm von Herzen, auch wenn er noch einen beschwerlichen Weg vor sich hat. Möge Gottes Gnade ihm allzeit zuteilwerden.«
Sie hielt inne und sah Agnes eindringlich an. Agnes fühlte sich außerstande, etwas zu sagen. Kaum wusste sie, wo sie hinschauen sollte. Unruhig nestelten die Finger ihrer freien Hand an dem Halstuch, fuhren darunter bis zu dem Mal im Nacken. Erst, als sie die rauhe Haut an den Fingerkuppen spürte, wurde sie ruhiger.
»Ach Liebes«, sprach Agatha in sanftem Ton weiter und tätschelte ihr die Schulter. »Die Wege des Schicksals mögen uns Sterblichen oft seltsam erscheinen. Wie oft werden wir aus der Bahn geworfen, beginnen den Weg unseres Lebens noch einmal ganz von vorn. So beschwerlich es ist: Wir müssen darauf vertrauen, dass am Ende alles einen Sinn ergibt. Mit unserem guten Laurenz hat das Schicksal es letztlich gut gemeint, trotz des frühen Todes seines Vaters. So hat er nicht das Böttcherhandwerk erlernt. Dafür hat jemand sein Talent fürs Bauen erkannt und ihm den Weg zum Werkmeister eröffnet. Seither ist er zwar wenig zu Hause, hat dafür aber im gesamten Ordensland sein Handwerk erlernt. Wie es aussieht, mit großem Geschick. Meine Schwester hat sich oft in Sehnsucht nach ihm verzehrt, auch wenn sie gewusst hat, es geschieht alles zu seinem Wohl. Ach, die Brave! Jetzt bin ich diejenige, die an ihrer statt um Laurenz bangt. Doch
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