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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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gegenübergestanden hast, hatte ich eine Ahnung, wer du sein könntest. Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich. Sie war nicht viel älter als du, als ich sie kennengelernt habe.«
    »Ihr kennt meine Mutter? Woher?« Vor Aufregung überschlug sich Agnes’ Stimme. Zugleich wurden ihr die Knie weich. Wahrscheinlich hatte Laurenz der Muhme alles verraten. Wieder fasste sie nach dem Halstuch.
    Agatha ging zum Herd und bückte sich, um das Feuer zu schüren. Die Hände in die Hüften gestemmt, wartete sie, bis es ordentlich brannte, hängte den Kessel an der Kette darüber tiefer und rührte den Brei im Topf mehrmals um. In jeder Bewegung lag eine beneidenswerte Ruhe. Die Hände an der hellen Schürze abwischend, die sie statt eines Surkots über dem Leinenkleid trug, wandte sie sich Agnes wieder zu. Im sanften Morgenlicht schimmerte das Haar honiggolden. Angesichts der frühen Stunde trug sie noch keine Haube. Der Fleck auf der linken Stirnseite zeichnete sich deutlich auf der hellen Haut ab, die schwarzen Haare darauf standen borstig ab, ganz im Gegensatz zu den übrigen, straff zurückgekämmten Haaren.
    »Laurenz wird dir erzählt haben, dass seine Mutter Hebamme gewesen ist. Gerda war meine ältere Schwester. Das Haus hier an der Krummen Grube hat einst ihr und ihrem Gemahl Bruno gehört. Er war ein tüchtiger Mann, Böttchermeister wie so viele hier im Löbenicht. Zudem hat er fleißig Bier gebraut. Leider ist er viel zu früh gestorben, und so hat Gerda den Jungen allein aufziehen müssen. Weil sie selbst als Wehmutter gearbeitet hat, hat sie die Böttcherwerkstatt geschlossen. Das Brauen hat sie mehr schlecht als recht weitergeführt. Ich habe damals noch auf dem Sackheim gewohnt, wo mein lieber Hans in der Mühle am Kupfergraben gearbeitet hat. Gelegentlich bin ich in die Stadt gegangen, um meine Borten zu verkaufen. So bin ich deiner Mutter bei meiner Schwester begegnet. Die Ärmste war völlig verzweifelt.«
    Sacht schüttelte sie den Kopf. »Dabei stand die Niederkunft kurz bevor. Ihr Leib war mächtig angeschwollen, kaum haben ihre Beine die schwere Last tragen können. Meine Schwester gab ihr einige Ratschläge zur bevorstehenden Geburt. Insbesondere hat sie ihr das Tragen eines Edelsteins ans Herz gelegt. Schwangere Frauen sehen mit seiner Hilfe einer leichteren Geburt entgegen. Am linken Handgelenk getragen, beschützt er vor bösen Geistern. Auch das kann eine Frau kurz vor der Niederkunft gut gebrauchen. Mag er noch so klein sein, so hilft er doch. Trotzdem war deine Mutter kaum zu beruhigen. Eine schreckliche Angst hat ihr jedwede Freude auf das Bevorstehende verdorben. Fast hatte es den Anschein, als wollte sie es überhaupt nicht zur Welt bringen, lieber bis ans Ende ihrer Tage mit dem aufgedunsenen Leib herumlaufen. Glaub mir, Liebes, so etwas habe ich nie zuvor erlebt.«
    Von neuem hielt sie inne, umfasste mit der linken Hand das Kinn und rieb mit Daumen und Zeigefinger mehrmals hin und her. Das Antlitz schräg zu Boden gerichtet, schien sie gedanklich in weit entfernte Gefilde entrückt. Dann ging ein Ruck durch ihren zierlichen Leib. Beschwörend griff sie nach Agnes’ Handgelenken und drückte sie, bis es weh tat.
    »Die Angst vor den Schmerzen war es nicht, Liebes. Deine Mutter war gewiss mutiger als andere Erstgebärende. Sie sah aus, als wäre ihr bereits alles im Leben widerfahren, was einem Menschen gemeinhin widerfahren kann, insbesondere das Schlimme, Unerfreuliche. Es muss etwas anderes gewesen sein, was sie so in Schrecken versetzt hat. Doch was, das hat sie nicht verraten. Ach, sie war so jung und schön, trotz alledem. Und mit dem guten Rudolf Kelletat hat sie einen der besten Männer zur Seite gehabt, den eine Frau sich wünschen kann.«
    »Rudolf Kelletat? So hieß ihr Mann?«, platzte Agnes ungeduldig dazwischen.
    »Ja, genau. Das war ihr Mann und dein Vater.« Überrascht sah Agatha sie an. »Hat sie dir nie von ihm erzählt? Ach, er muss ein guter Mensch gewesen sein. Übrigens ein Böttchermeister wie mein verstorbener Schwager.«
    »Ein Böttchermeister?«, hakte Agnes ungläubig nach. Wie passte das zu Lores Behauptung, sie, ihr geliebter Ewald und die Mutter wären Gundas Verlobung wegen eigens aus Westfalen ins Ordensland gereist? Das hatte doch eher vermuten lassen, bei Gundas damaligem Verlobten handelte es sich um einen Zunftgenossen, also einen Kaufmann wie Ewald.
    »Ja, ein sehr tüchtiger Böttchermeister«, beharrte die Muhme verwundert. »Leider habe ich ihn nie

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