Gold und Stein
ich weiß, er ist auf einem guten Weg. An meiner lieben Gisa kann ich mich schon jetzt jeden Tag erfreuen. Es vergeht kaum eine Stunde, in der ich in Gedanken nicht bei ihr und ihren wohlgeratenen Kindern bin.«
Von neuem schwang Stolz in ihrer Stimme mit. Agnes wurde traurig. Ob Gunda jemals in ähnlichem Ton von ihr sprach?
»Deiner Mutter muss es sehr schwergefallen sein, dich gehen zu lassen.« Agnes schrak zusammen. Es war, als könnte die Muhme Gedanken lesen.
Inzwischen stand Agatha beim Fenster, sah auf die Straße und fuhr fort: »Andererseits ist es eine kluge Entscheidung gewesen, dich aus Wehlau fortzuschaffen. Keiner weiß, wie es dort weitergeht. Jedes Mal aufs Neue zetteln die Männer fürchterliche Kriege an, und wir Frauen müssen die Folgen ausbaden. Umso besser, wenn man sich rechtzeitig in Sicherheit bringen kann. Weder die Bündischen noch die Ordensritter sind für ihre Gnade bekannt. Laurenz hat gleich erkannt, was das Beste ist. Und ich habe auch für eine Weile meinen Vorteil davon. Deine Gegenwart entledigt nicht nur meine Mägde von dem ungeliebten Brauen. Da du es weitaus besser verstehst als ich, sollte ich dir diese Aufgabe am besten ganz überlassen. Letztlich gereicht es uns allen zum Segen, künftig ein milderes Bier zu bekommen. Ach, ich sehe schon: Da vorn kommt der gute Bierbeschauer Mohr. Der wird Augen machen, wenn er das von dir gebraute Bier verkosten darf!«
Sie eilte zu der weit offen stehenden Eingangstür und winkte. Aus dem Trubel auf der Krummen Grube schälte sich ein behäbig wirkender Mann heraus und betrat schnaufend die Diele.
»Gott zum Gruße! Ich komme wohl gerade recht. Bei Euch duftet es köstlich nach frisch Gebrautem. Wie gern lege ich da meine Pause bei Euch ein.«
Er schnupperte und drehte den Kopf neugierig in alle Richtungen. In dem feisten, über und über von einem schwarzen Bart bedeckten Gesicht leuchteten zwei helle Augen. Sein linker kurzer Arm schnellte empor. Eine dicke Hand grapschte nach dem Barett und zog es von dem struppigen Haar. Auch sein übriges Äußeres wirkte eher struppig denn ordentlich, war aber sehr sauber. Der eng anliegende Rock entbehrte mehrerer Knöpfe, ebenso wiesen die blau-rot gestreiften Strumpfhosen einige ungeschickt angenähte Flicken auf. Lediglich die Gogel des rechten Schnabelschuhs trug noch eine goldene Glocke, wie wohl auch einmal an der linken Spitze eine angenäht gewesen war.
Ein munteres Lächeln schälte sich aus dem dunklen Bart heraus. Dennoch blieb Agnes auf der Hut. Warum musste die Muhme ausgerechnet jetzt den Bierbeschauer ins Haus winken? Wehlau war nur eine Tagesreise vom Löbenicht entfernt. Was, wenn er die Fröbelsche Schankwirtschaft oder gar die Mutter kannte? Wie schnell mochte er ihr eine Nachricht schicken! Wie töricht von ihr, nicht eher daran gedacht zu haben. Viel zu dicht lagen die beiden Städte beieinander, als dass sie sich sicher fühlen konnte.
»Ich sehe, Ihr habt eine neue Magd im Haus«, wandte sich Mohr an Agatha. »So gehen die Geschäfte also gut bei Euch, und Ihr habt weitere Hilfe nötig. Mit Verlaub, aber an Eurem Bier wird es nicht liegen. Das wird so bitter schmecken wie eh und je. Anderen solltet Ihr es eigentlich besser nicht vorsetzen, es sei denn, Ihr wolltet jemandem nichts Gutes.« Er lachte schallend, sah aber beide Frauen wohlwollend an.
»Für heute wird es wohl noch so sein, mein Lieber«, erwiderte Agatha aufgeräumt. »Doch bald schon wird es besser werden. Meine liebe Agnes versteht sich nämlich bestens aufs Brauen.«
»Das freut mich zu hören. Darf ich fragen, wie es kommt, dass Ihr …«
»Das dürft Ihr, denn es geht alles mit rechten Dingen zu. Agnes ist keine dritte Magd. Die dürfte ich, wie Ihr wisst, gar nicht bei mir aufnehmen. Mit Theres und Marie habe ich schließlich schon zwei tüchtige Mägde in meinem Haus, und als Bortenmacherin kommt mir keine weitere zu. Agnes ist eine entfernte Verwandte aus Weh…«
»Labiau«, fiel Agnes ihr hastig ins Wort. Erstaunt sah Agatha sie an. Agnes gab ihr ein Zeichen und hoffte, die Muhme würde ihr die Lüge verzeihen. »Ursprünglich stamme ich zwar aus Wehlau, wie meine liebe Muhme gerade sagen wollte, doch seit letztem Jahr leben meine Mutter und ich in Labiau. Nach dem Tod meines Vaters sind wir in der Schankwirtschaft meines Oheims untergekommen. Da es dort wenig zu tun gibt, hat mich meine Mutter hierhergeschickt. Es soll nicht schaden, das Wirtschaften auch einmal bei der Muhme zu
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