Gold und Stein
Gäste wollen das Bier als Schlaftrunk? Los, roll die Fässer rein!« Er versetzte dem Knecht einen Stoß und verfolgte mit grimmiger Miene, wie er sich ans Abladen machte.
»Zürnt nicht mit Eurem Knecht«, bat Agnes. »Mich allein trifft die Schuld für die Verspätung. Ich konnte nicht so schnell laufen wie er. Meine Muhme hat mich geheißen, ihn zu begleiten und Euch nach Euren Wünschen für das Bier zu fragen.«
Offenherzig sah sie ihn an. Meister Jörgen war gut einen Kopf größer und nahezu doppelt so breit wie sie. Wie es sich für einen Wirt gehörte, hatte er eine helle Schürze vor den Bauch gebunden und die Ärmel seines Hemdes aufgekrempelt. Das runde, rot angelaufene Gesicht zierte der Mode gemäß ein ebenfalls leuchtend roter Bart. Die Reste des Haupthaars auf dem breiten Schädel verrieten allerdings, dass er einmal blond gewesen sein musste. Die Augenwinkel umgrenzte ein fröhlicher Faltenkranz, die knollige Nase mit den blauroten Adern ließ auf beträchtliche Trinkfreude schließen.
»Dann seid Ihr also die Nichte der Streicherin aus Labiau?« Neugierig musterte er sie ebenfalls. Bald verzog er den dicklippigen Mund zu einem breiten Grinsen. »Wie schön, Euch kennenzulernen. Mohr stimmt überall ein Loblied auf Euch an. Es ist lange her, dass bei mir Bier aus dem Haus an der Krummen Grube ausgeschenkt wurde. Das war noch zu Zeiten der Schwäherin von Gerda Selege. Die Schwester Eurer Muhme hat zwar die Kunst beherrscht, noch die aussichtsloseste Niederkunft einer Frau zu einem guten Ende zu bringen. Mit dem Bierbrauen aber tat sie sich schwer. Schade. Dabei gibt das Brauen ein ordentliches Zubrot. Leider versteht sich auch ihre Schwester, Eure Muhme, nicht sonderlich darauf. Doch lasst mich kosten, ob Ihr ein Wunder vollbracht habt. Dann will ich als einer der Ersten wieder von Eurem Gebräu haben. Am Ende wird Eure Muhme beim Löbenichter Rat noch anfragen müssen, ob sie wieder mehr als für den eigenen Bedarf brauen darf.«
Einladend winkte er sie in die Gaststube. Als Agnes den Raum mit den niedrigen, rußgeschwärzten Deckenbalken betrat, wurde ihr schwindlig. Halt suchend drückte sie das Leinenpäckchen mit den Borten fester an die Brust. Die Gaststube des Goldenen Hasen ähnelte dem Silbernen Hirschen erstaunlich. Im rückwärtigen Teil rührte eine dralle Magd im Kessel, eine zweite war gemeinsam mit einem Knecht dabei, Agathas eben geliefertes Bierfass anzustechen. Kaum war der Hahn geöffnet, hielt die Magd einen Krug darunter, füllte ihn auf und reichte ihn dem Wirt. Gierig setzte er ihn an die Lippen und trank.
Neugierig sah Agnes sich weiter in der Stube um: Wie stets an Markttagen waren die Bänke und Schemel gut besetzt. Die günstige Lage zahlte sich aus. Ein munteres Sprachgemisch erfüllte den Raum. Neben dem vertrauten Deutsch waren auch Polnisch, Schwedisch, Flämisch und sogar einige Fetzen Russisch herauszuhören.
»Wees gegroet, gezel!«
»Lasst uns trinken!«
»Na zdrowie!«
Beim Zuprosten verwischten die Unterschiede, und die Männer vergaßen, was sie jenseits der Sprache voneinander trennte.
»Ihr stammt also ebenfalls aus einer Schankwirtschaft«, fragte der Wirt und setzte den Krug ab. Das Bier schien ihm gut gemundet zu haben. Genüsslich wischte er den Schaum von Lippen und Bart. »Welch glückliche Fügung, dass Eure Eltern selbst brauen durften. Das macht es einfacher, einen Krug zu führen. Die Preise für guten Wein sind hoch. Oft ist das Gesöff vom Rhein oder aus Frankreich sauer, bis es bei uns eintrifft. Man traut sich kaum, es seinen Gästen vorzusetzen. Mit dem Bier aber ist es auch schwierig geworden. Im Vertrauen, liebes Fräulein …« Er beugte sich vor und legte ihr die riesige Hand auf die Schulter. »Wenn die Brauer hier so gut wären wie die in Danzig oder Lübeck, würden wir im Paradies auf Erden leben. Ich weiß zwar, dass ich als braver Altstädter mit meinem Lob für die Abtrünnigen vorsichtig sein sollte. Doch was nützt uns der Schutz der Kreuzherren, wenn ihr Bier grauslich schmeckt? Leider nehmen es unsere Brauer mit der Treue gegenüber den Ordensrittern inzwischen derart ernst, dass sie ein ebensolch scheußliches Bier wie die Weißmäntel brauen. Dabei müssten sie nur einmal nach Danzig gehen, und schon wüssten sie, wie gutes Bier schmecken muss.«
»Es liegt wohl nicht allein an der Treue Eurer Bürger zu den Ordensrittern«, erwiderte Agnes leise. »Zum einen geht man hier am Pregel großzügig mit dem Hopfen um,
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