Gold und Stein
Wahrscheinlich sehen meine Eltern nach wie vor den kleinen Jungen in mir, den es vor sämtlicher Unbill der Welt zu bewahren gilt.«
Er verzog das Gesicht zu einer schiefen Grimasse, was Agnes endgültig zum Lachen brachte. Zufrieden fuhr er fort: »Leider verfüge ich weder über eine Schwester, noch haben wir eine hübsche junge Magd im Haus, der ich der Übung halber den Hof machen könnte. Die vielen Runzeln sowie der krumme Rücken unserer alten Anna spornen einen jungen Burschen wie mich nicht eben zu Lobpreisungen an. Ungeschlacht wie ein tumber Ochse trete ich dir deshalb unter die Augen.«
»Lass uns ein Stück gehen«, schlug sie vor. »Dabei kannst du mir mehr von dir und deiner schweren Erziehung zum Kaufmann erzählen. Dein Vater ist also ein strenger Mann, der dir nichts anderes als Rechnen und Handeln beigebracht hat. Und deine Mutter treibt die Eifersucht um, ihren einzigen Sohn nicht zu früh mit einer anderen Frau zu teilen.«
»Du kennst dich mit Müttern aus.«
»Ich habe selbst eine.«
Sie lachten einvernehmlich, bis Agnes anmerkte: »Wahrscheinlich ist deine Mutter darauf bedacht, aus dir einen guten Kaufmann zu machen, damit du dich deines Erbes würdig erweist.«
»Natürlich!«, stimmte Caspar zu. »So gehört es sich doch für eine brave Kaufmannsgattin. Schließlich muss sie meinen Vater vertreten, wenn er über Wochen, manchmal gar für Monate in die Fremde reist. Aber ihr liegt das im Blut. Sie entstammt einer alten Kaufmannsfamilie aus London.«
»Wie aufregend! Zur Hälfte fließt also englisches Blut in deinen Adern.« Sie warf ihm einen bewundernden Blick zu. Er sonnte sich in dem Gefühl, in ihren Augen etwas Besonderes zu sein. »Bist du schon einmal dort gewesen?«
»Nein, leider noch nicht. Im Frühjahr sollte ich eigentlich nach London reisen, doch die Lage ist auch an der Themse derzeit nicht sonderlich friedlich. Seit einigen Jahren gibt es Aufruhr um den König. Heinrich ist schwach, mitunter wird behauptet, er wäre gar von geringem Verstand. Ein gewisser Plantagenet fordert seine Entmachtung, um selbst den Thron zu besteigen. Früher oder später werden heftige Kämpfe entbrennen.«
»Ist der Handel zwischen Königsberg und England deshalb zum Erliegen gekommen?« Agnes erinnerte sich an die Bemühungen ihrer Mutter mit Rehbinder. Dabei war es auch um den Handel mit England gegangen. Wie es sich genau verhielt, brachte sie jedoch nicht mehr zusammen.
»Die Geschäfte stocken seit Jahren«, erklärte Caspar, »allerdings nicht allein der Thronstreitigkeiten wegen. Die Handelsroute nach England gilt als äußerst unsicher. Es gibt immer wieder Überfälle, Schiffe werden versenkt, Waren geraubt. Zudem werden in den Häfen oft unsinnige oder gar doppelte und dreifache Zölle erhoben.«
»Woher weißt du das alles?«
»Mein Oheim hält uns in seinen Briefen über die Ereignisse an der Themse auf dem Laufenden. Dabei schreibt er weitaus ehrlicher, als so manch anderer Kaufmann das tun würde. Immerhin geht es ihm um die Familie und nicht allein um das Geschäft. Das verschafft meinem Vater einen erheblichen Vorteil gegenüber seinen Zunftgenossen.«
»Das kann ich mir gut vorstellen.« Andächtig beäugte Agnes ihn. Vor ihrem inneren Auge entstand allmählich ein neues Bild von Caspar als eines sehr ernsthaften Jünglings, der tagaus, tagein Nachrichten aus England studierte und sie den Zunftgenossen erläuterte.
»Es ist sehr wichtig für uns, diesen Vorteil zu nutzen«, redete er weiter. »Im nächsten Frühjahr werde ich wohl meine Reise nach London antreten und die Gepflogenheiten vor Ort aus eigener Anschauung studieren. Das festigt diese Bindung noch mehr.«
»Wie schade!« Sie hatten das Ende der Berggasse erreicht. Unschlüssig blieben sie stehen. »Dir steht ein gewaltiges Abenteuer bevor, Caspar: erst die gefährliche Reise mit dem Schiff, dann die unruhigen Zeiten an der Themse …«
»Hast du Angst um mich?«, fiel Caspar ihr ins Wort.
Erschrocken sah sie ihn an. Über sein Antlitz huschte eine Mischung aus Freude, Stolz und Furcht. Als er ihres Blickes gewahr wurde, senkte er den Kopf. Gedankenverloren griffen sie beide an die Zipfel ihrer Halstücher.
»Wir haben gelegentlich wohl dieselben Angewohnheiten«, stellte sie fest.
»Seltsam, nicht wahr?«, stimmte Caspar zu und rückte das Halstuch gerade. Wie zum Trotz zupfte sie ihres in die andere Richtung. Beide lachten sie erleichtert.
»Falls es mit London nicht klappen sollte«, fuhr er fort,
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