Gold und Stein
verderben nämlich den Brei«, kam Theres der Gefährtin zu Hilfe. »Deshalb kannst du gern spazieren gehen. Die frische Luft färbt deine Wangen so wundervoll rosig. Das steht dir gut, Kleines.«
»Geh noch ein Stück, Liebes, und genieß den schönen Tag. Es reicht, wenn du zum Essen zu Hause bist«, schlug Marie vor.
»Wir beide müssen nämlich etwas Dringendes erledigen«, entfuhr es Theres unvermittelt.
»Genug«, zischte Marie und zog die Gefährtin fort. Über die Schulter winkte sie Agnes aufmunternd zu. »Lass dir ruhig Zeit mit dem Heimkommen. Deiner Muhme wegen musst du dir keine Sorgen machen. Die wird schon verstehen, dass du ein wenig frische Luft brauchst.«
Verwundert sah Agnes den beiden nach, wie sie Arm in Arm die Obergasse entlangschlenderten, bis sie die Ecke zur Krummen Grube erreichten. Was war nur los? So deutlich hatten sie ihr noch nie zu verstehen gegeben, dass sie eine Weile für sich sein wollten. Als die Mägde aus ihrem Blickfeld verschwunden waren, sah sie sich um. Längst waren auch die letzten Kirchenbesucher nach Hause gegangen. Über der Obergasse lag eine feierliche Ruhe. Gelegentlich wurde sie vom aufgebrachten Gackern eines Huhns oder dem wütenden Gekläff eines Hundes unterbrochen. Anders als an den herkömmlichen Wochentagen wurden die Tiere sonntags im Hof gehalten. Eine gestreifte Katze strich Agnes um die Beine, verharrte an der nächsten Hausecke, als wollte sie sich versichern, dass Agnes ihr folgte. Zögernd setzte Agnes sich in dieselbe Richtung in Bewegung.
»Endlich!« Kaum hatte sie die Ecke zur Berggasse erreicht, trat Caspar aus einem Hofeingang. Eilig zog er sie in die abgeschiedene Straße hinein. »Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr.«
»Woher sollte ich wissen, dass du hier auf mich wartest?«
Kaum ausgesprochen, wurde ihr bewusst, dass sie ebenfalls die vertraute Anrede verwendete. So nah wie nie zuvor standen sie voreinander. Agnes spürte ein Kribbeln im Bauch. Eine angenehme Leichtigkeit überfiel sie. Sie schloss die Augen und hoffte, er würde sie küssen. Stattdessen klopfte er ihr sacht auf die Schultern. Enttäuscht öffnete sie die Lider. Er trat einen Schritt nach hinten. Nachdenklich betrachtete sie ihn.
Im nächsten Moment schien es ihr unvorstellbar, sich nach einem Kuss von ihm gesehnt zu haben. Caspar hatte zwar etwas grundsätzlich Vertrautes, zugleich aber wirkte er unnahbar. Laurenz kam ihr in den Sinn. Was gäbe sie darum, ihn jetzt vor sich zu haben! Nie und nimmer würde er sie bei solcher Gelegenheit ungeküsst lassen. Viel zu groß war ihrer beider Verlangen, die Glut des anderen am eigenen Leib zu spüren. Für Caspar, dessen war sie auf einmal gewiss, empfand sie etwas völlig anderes. Verwirrt schluckte sie.
»Wie schön, dich endlich wiederzusehen!« Caspar strahlte. »Seit Donnerstag denke ich darüber nach, wann es uns gelingen wird, uns zu treffen. Heute früh kam mir die Idee, einmal die Messe in Sankt Barbara zu besuchen.«
»Ich hoffe, dir als Altstädter war es hier im Löbenicht nicht gar zu fremd.«
»Es hat mir gewiss nicht geschadet, einmal die Predigt im Löbenicht zu hören. Noch dazu, wenn sich mir im Anschluss daran die Möglichkeit bietet, dich zu sprechen.«
»Was allein dem Zufall zu verdanken ist. Wäre ich mit unseren Mägden gegangen, wäre dir das nicht gelungen.«
»Ach, Agnes! Sei bitte nicht so ungeduldig mit mir!« Ehrerbietig fasste er nach ihrer Hand, hob sie zum Mund, hauchte einen Kuss darauf. »Es mag dir seltsam vorkommen, dass ich hier stehe und warte, ob du kommst oder nicht. Doch ich habe nicht gewagt, mich dir mitten auf dem Kirchplatz zu nähern. Was würde deine Muhme dazu sagen? Oder die beiden Mägde, denen das Mundwerk ohnehin sehr locker zu sitzen scheint?«
Noch einmal küsste er ihr scheu den Handrücken. »Verzeih mir, aber ich verfüge über keinerlei Erfahrung, was den galanten Umgang mit einem schönen Fräulein wie dir anbelangt. Mein Vater ist vor allem darauf bedacht, mich in die Geheimnisse der Holzpreise in Litauen, den Pelzhandel in Nowgorod oder in die Umstände der Heringssaison in Schonen einzuweihen. Ebenso wichtig ist ihm, mir den geschickten Umgang mit der Großschäfferei auf der Ordensburg einzutrichtern und die hohe Kunst des Briefeschreibens an Kaufleute in Lübeck nahezubringen. Der Umgang mit dem weiblichen Geschlecht spielt bei meiner Erziehung für ihn dagegen keine Rolle. Auch meine Mutter unternimmt nichts, mich darin zu unterweisen.
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