Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
Immerhin hatte er gerade wohlwollend das Bier verköstigt, das sie letzte Woche erstmals ohne Agnes’ Zutun gebraut hatte. Unbehagen erfasste Agnes bei der Erinnerung an letzten Mittwoch, an dem auch das schicksalsträchtige Gespräch bei den Fischarts stattgefunden hatte. Fünf wertvolle Tage waren seither vergangen, bis sie endlich aufbrechen konnte, um zu Laurenz zu gelangen. Noch aber war sie nicht zur Tür hinaus.
    »Wo willst du hin?«, fragte Agatha und beäugte sie aufmerksam. Agnes wand sich, um das Bündel besser zu verbergen, ahnte aber bereits, dass alle Mühe umsonst war. Die Muhme durchschaute sie, wie ihr wissender Blick verriet. Trotzdem versuchte sie es mit einer kühnen Lüge: »Ich soll noch einmal zum Grünen Baum. Die Wirtin hat nach mir geschickt. Natürlich gehe ich nur, wenn Ihr erlaubt. Bis Mittag bin ich wieder zurück.«
    »Das will ich hoffen«, erwiderte Agatha. »Lass dein Bündel ruhig hier. Sonst hast du so schwer zu tragen.«
    Auffordernd streckte sie ihr die Hand entgegen. Agnes seufzte, versuchte ein zweites Mal ihr Glück. »Darin habe ich ein paar Dinge von meiner Großmutter, die ich der Wirtin zeigen will. Wir kamen unlängst auf sie zu sprechen.«
    »Woher weiß sie, wer deine Großmutter ist? Du wirst es ihr kaum selbst auf die Nase gebunden haben. Dabei hast du allen Grund, stolz auf die Frauen in deiner Familie zu sein. Deine Großmutter ist nicht nur eine sehr kluge, sondern auch sehr schöne Frau gewesen.«
    »Von wem sprecht Ihr?«, mischte sich der Bierbeschauer neugierig ins Gespräch. »Kenne ich die Frau? Schöne Frauen bleiben mir immer im Gedächtnis.«
    »Daran zweifele ich nicht, mein Lieber.« Agatha schenkte ihm ein weiteres Mal von dem Bier ein. »Freut mich, freut mich«, begleitete Mohr ihr Tun und konnte es kaum erwarten, den Becher abermals an die Lippen zu setzen. Die Muhme gab Agnes ein Zeichen, ihr in die hintere Ecke der Diele zu folgen. Während sie so tat, als fülle sie die Kanne an dem Bierfass auf, zog sie Agnes nah zu sich heran. Die Haube auf ihrem Kopf war weit nach hinten gerutscht und bedeckte kaum den hohen Haaransatz. Trotz der Dämmerung waren die einzelnen schwarzen Haare auf dem braunen Mal an der linken Stirnseite gut zu erkennen. »Du willst zu Laurenz auf die Marienburg, nicht wahr?«
    »Wie kommt Ihr darauf?« Agnes errötete bis unter die Haarspitzen. Rasch senkte sie den Blick, hoffte, das schummrige Licht würde ihr Antlitz verbergen. Da spürte sie, wie die Muhme mit den Fingern unter ihr Kinn fasste und es nach oben richtete. Agnes blieb keine Wahl. Sie musste ihr ins Gesicht sehen.
    In Agathas verschiedenfarbigen Augen stand tiefe Besorgnis. »Seit Wochen wohnst du bei mir, Liebes, Tag für Tag erlebe ich mit, was du durchmachst. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche. Immerhin bin ich selbst Mutter einer Tochter, lebe seit Jahren mit zwei jungen Mägden unter einem Dach. Zudem kenne ich Laurenz, habe ihn seit dem Tod meiner Schwester wie mein eigen Fleisch und Blut behandelt. Gleich am ersten Abend war mir klar, wie ihr beide zueinander steht.«
    »Aber …«, wollte Agnes einwerfen, doch die Muhme legte ihren Finger auf die Lippen und bedeutete ihr zu schweigen. »Als ich erkannt habe, wessen Tochter du bist, ist mir das erst recht sehr zu Herzen gegangen. Deine Mutter habe ich sehr gemocht. Ihr schweres Schicksal hat mich schon damals gedauert. Umso mehr fühle ich mich für dich verantwortlich.«
    Sie hielt inne, biss die Lippen fest zusammen und sah dicht an Agnes vorbei in die Weite des Raumes. Agnes folgte ihrem Blick. Der Bierbeschauer saß reglos am Tisch, das Kinn war ihm auf die Brust gekippt. Seinen tiefen, gleichmäßigen Zügen war zu entnehmen, dass er eingeschlafen war. Der leise Gesang der beiden Mägde aus der benachbarten Werkstatt tat ein Übriges, seinen Schlaf zu begleiten. Stumm nahm die Muhme Agnes das Bündel aus der Hand und legte es beiseite.
    »Allzu viel wird dir Laurenz nicht von sich erzählt haben. Er ist kein Mann der großen Worte. Umso mehr aber ist er ein Mann, der zu seinem Wort steht. Wenn er dir dein Wort gegeben hat, zu dir zurückzukommen, musst du ihm vertrauen. Bleib bitte hier und warte. Er wird kommen.«
    »Unmöglich!« Hastig griff Agnes wieder nach ihrem Bündel, hielt es wie einen Schutzschild vor die Brust. »Es ist nicht allein die Sehnsucht, die mich zu Laurenz treibt. Ginge es nur darum, würde ich mich darin fügen, bis zum Frühjahr auf ihn zu warten, auch wenn es mir mit

Weitere Kostenlose Bücher