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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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jedem Tag schwerer fällt.«
    Von neuem senkte sie das Antlitz, sah auf die Spitzen ihrer Schnabelschuhe. Agatha ahnte nicht das Geringste von dem, was vor ein paar Tagen bei der Fischartin vorgefallen war. Was würde sie sagen, wenn sie erfuhr, wer Gundas verschwundener Zwillingssohn war? Und dass die Hebamme Hermine Hundskötter eine unglaubliche Geschichte über Gunda zum Besten gegeben hatte? Damit bezichtigte sie auch Agathas verstorbene Schwester, Gundas Hebamme, der unverschämten Lüge. Mit einem Ruck hob sie den Kopf und sah die Muhme an. »Es geht auch um die Ehre meiner Mutter. Und nicht allein um ihre. Laurenz ist der Einzige, der mir helfen kann, sie zu retten.«
    »Was redest du da? Wie soll Laurenz die Ehre deiner Mutter retten? Und wer ist noch davon betroffen?«
    »Es hat mit der alten Geschichte um ihre Niederkunft zu tun. Mehr kann und will ich Euch jetzt nicht verraten. Ich muss dringend fort. Bitte gebt Euch vorerst damit zufrieden und lasst mich gehen.«
    »Nein!« Entschlossen hielt Agatha sie zurück. »Du kannst nicht so einfach zu ihm auf die Marienburg. Es gibt da noch etwas, was du wissen musst. Ich hatte gehofft, es würde sich regeln, ohne dass du je davon erfährst. Doch so, wie es aussieht, bleibt mir keine Wahl. Laurenz möge mir verzeihen, aber ich muss offen zu dir sein.«
    Einen quälend langen Moment hielt sie inne, holte tief Luft und fügte in rauhem Ton hinzu: »Laurenz ist seit vielen Jahren an die Tochter seines Baumeisters aus Danzig gebunden.«
    »Das ist nicht wahr!« Agnes meinte, der Boden tue sich unter ihren Füßen auf. Alles um sie herum begann sich zu drehen. Einzig das Bündel vor ihrer Brust spendete Halt.
    »Es ist nicht so, wie du denkst. Lass es mich in Ruhe erklären.« Sacht berührte die Muhme sie am Arm.
    Energisch stieß Agnes sie fort und eilte zur Tür, Agatha ihr nach. Nach wenigen Schritten holte sie sie ein und fasste nach ihrem Arm. »Hör mir zu, Agnes, bitte!«
    Langsam drehte Agnes sich um. Tränen verschleierten ihr den Blick, ihre Stimme bebte. »Dafür habe ich keine Zeit. Ich muss zu Laurenz. Er soll mir das alles selbst erklären. So viel sollte ich ihm noch wert sein. Und jetzt lasst mich bitte gehen. Am Löbenichter Tor wartet jemand, der mich zur Marienburg mitnimmt. Ich hoffe, ganz gleich, wie Laurenz’ Antwort ausfällt, hilft er mir, meine Mutter zu retten.«
    »Auf Laurenz ist immer Verlass, glaub mir.«
    »Das habe ich auch stets geglaubt. Doch Ihr habt das gerade in arge Zweifel gezogen.«

[home]
    Dritter Teil
    Marienburg
Herbst 1455
    Was aus Liebe getan wird,
    geschieht immer jenseits von Gut und Böse.
    FRIEDRICH NIETZSCHE
»Jenseits von Gut und Böse«, Aph. 153

1
    D ie Getreidehändlerfamilie wusste zu jedem Stock und Stein, an dem sie mit ihrem leeren Fuhrwagen vorbeiholperten, eine Geschichte zum Besten zu geben. Fest eingeklemmt saß Agnes zwischen der pausbäckigen Julia und ihrem rundlichen Vater Bertram Struth aus Danzig und lauschte ihren endlosen Erzählungen aus der weit zurückliegenden prussischen Vergangenheit, hörte von gefährlichen Abenteuern aus den Tagen der Lokatoren und ersten Siedler oder ließ sich von den jüngsten Auseinandersetzungen der reich gewordenen Städte mit den Ordensrittern berichten. Jede Meile, die sie auf diese Weise zwischen sich und Königsberg brachte, verkleinerte ihre Zweifel an Laurenz’ Lauterkeit. Bald war sie überzeugt, die Muhme wollte einen Keil zwischen Laurenz und sie treiben und hätte ihr nur deshalb von seiner angeblichen Verpflichtung gegenüber der Tochter seines früheren Meisters erzählt. Agatha hatte schließlich auch einmal erwähnt, wie gern sie ihre eigene Tochter mit dem Sohn ihrer Schwester vermählt hätte. Laurenz hatte Agnes sein Wort gegeben. Das allein zählte. Ein Schauern erfüllte sie, wenn sie an den liebevollen Blick aus den verschiedenfarbigen Augen dachte. Nur zu gern rief sie sich in Erinnerung, wie klug er stets zu handeln pflegte. Ein Mann wie er wusste, was sie ihm geschenkt hatte. Getröstet hob sie den Kopf und sah sich um. Am Horizont tauchten die Mauern und Türme Elbings auf.
    »Weißt du eigentlich«, fragte Julia sie unvermittelt, »dass es nicht weit von dieser Stelle einen kesselrunden See gibt? Willst du hören, wie er entstanden ist?« Erwartungsvoll sah sie Agnes an, wartete jedoch nicht auf eine Antwort, sondern fuhr gleich beflissen fort: »Die ersten Christen der Gegend hatten an jener Stelle ihre Kirche errichtet. Ausgerechnet

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