Gold und Stein
nicht die einzig Leidtragende in dieser Geschichte.« Plötzlich veränderte sich der Ausdruck auf seinem Gesicht, auch seine Stimme verlor ihre Kraft. Breitbeinig stand er da, verschränkte die Arme vor der Brust und sah eine Weile ziellos in die Ferne. Leise fügte er hinzu: »Ebenso wie du habe auch ich lange für das gebüßt, was damals im Löbenicht geschehen ist. Über Jahr und Tag haben mich die dunkelsten Träume heimgesucht. Bis heute wache ich nachts schweißgebadet auf und erlebe jene schrecklichen Stunden wieder und wieder. Es war einfach entsetzlich, Kelletat nach unserem Streit reglos am Fuß der Treppe liegen zu sehen und dich derart schreien zu hören. Dazu auch die Kinder,
meine
Kinder! Damit hatte ich doch gar nicht gerechnet. Nie werde ich ihren Anblick in der Wiege vergessen.«
Wie er das sagte, schwang Schmerz in jeder Silbe mit. Die Versuchung war groß, ihn einfach in den Arm zu nehmen und sich mit ihm dem Schmerz hinzugeben. Doch dann ging ein Ruck durch ihren Körper. »Mir anzuhören, wie sehr du gelitten hast, ist viel von mir verlangt, mein Lieber. Oder glaubst du, eine Mutter kommt je darüber hinweg, wenn man ihr das Kind von der Brust reißt?«
»Aber ein Vater soll das einfach so verkraften?«, schoss er zurück. Erregt standen sie nah voreinander. Die Augen auf derselben Höhe stierten sie sich an. Gunda schmerzten die Finger, so fest ballte sie die Hände zu Fäusten, Gernot schwollen die Adern an den Schläfen.
Trotzdem lag kein Hass in ihren Blicken. In Gunda wuchs das Verlangen, Gernot um den Hals zu fallen, den Kopf an seiner Brust zu bergen und um all die verlorenen gemeinsamen Jahre zu weinen. Schon neigte sie sich vor, da tauchte Edithas Gesicht vor ihrem inneren Auge auf. Er hatte sie und ihre Liebe verraten. Es war mehr als recht, dass er litt.
»Wieso hast du mir das angetan?«, fragte sie leise und löste die Fäuste.
»Willst du das wirklich von mir hören?« Allmählich fasste er sich wieder, strich sich durch den Bart. Seine Augen glitzerten feucht. Sie nickte kaum merklich. Sacht schüttelte er den Kopf. Dann begann er mit seiner vertrauten, schönen Stimme zu reden. »Deinen Zorn auf mich verstehe ich nur zu gut. Es hilft dir wenig, wenn ich gestehe, wie aufrichtig leid mir tut, was damals geschehen ist. Nach wie vor reut mich mein feiges Verhalten, das musst du mir glauben! Hätte ich auch nur im Entferntesten geahnt, wie sich die Dinge entwickeln, hätte ich rechtzeitig mein Möglichstes versucht, das Schlimmste zu verhindern. Doch ebenso wie du sind wohl auch Editha und ich einem bösen Trug aufgesessen.«
»Du willst nicht allen Ernstes behaupten, dass …«, hob sie an.
»Bitte hör mich bis zum Ende an, bevor du dein Urteil fällst«, bat er und fasste vorsichtig nach ihrer Hand. Sie wollte sich der Berührung widersetzen, doch mit einem Mal fehlte ihr die Kraft. Die Wärme seiner Haut zu spüren tat gut, ebenso, den sanften Druck zu erdulden, den er dabei ausübte. Plötzlich genoss sie es wieder, ihn nah vor sich zu haben, und erwiderte den Händedruck. Ein schüchternes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Er räusperte sich.
»Als Editha nach der Geburt das tote Kind in Armen hielt und vor Kummer zu zergehen drohte, habe ich ihren Anblick kaum ertragen. Auch wenn du es dir nicht vorstellen magst: Sie ist eine liebevolle Frau mit sehr starken Gefühlen. Vom ersten Augenblick an hat sie sich mir mit größter Zärtlichkeit hingegeben, mich damals selbstlos über die schreckliche Nachricht von deinem vermeintlichen Tod getröstet. Bis zum heutigen Tag haben wir unendlich viele schöne Stunden …«
»Du wolltest mir von dem verhängnisvollen Tag ihrer Niederkunft erzählen«, ging sie erregt dazwischen. »Deine Schwärmerei von Editha ersparst du mir besser.«
»Verzeih«, murmelte er. »Du hast natürlich recht. Doch ich bin mir sicher, wärt ihr beide euch unter anderen Umständen begegnet, hättet ihr euch auf Anhieb gut verstanden.«
Wieder wollte sie ihm entrüstet über den Mund fahren, bezwang sich jedoch im letzten Moment. Nachdenklich betrachtete sie ihn. Dieses Mal erwiderte er ihren Blick eindringlich. Aufrichtigkeit strahlte ihr aus seinen Augen entgegen. Das rührte sie. Mit einem Mal begriff sie, dass sie ihm kaum zutraute, eine Frau zu lieben, die durch und durch schlecht war. Sie dachte an Caspar. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, hatte er sich sofort auf Edithas Seite gestellt, wie auch Gernot sie jetzt entschieden in
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