Gold und Stein
des Handels mit England zu denken. In seinem jüngsten Schreiben berichtet mein Oheim, wie unsicher das Land auch fünf Jahre nach dem Aufruhr um John Cade und seine Rebellen aus Kent weiter ist. Das Murren über Heinrich VI . nimmt kein Ende. Erst war es der Herzog von Sommerset, der an seinem Thron gesägt hat, nun gibt es mit dem Herzog von York einen weiteren gefährlichen Gegenspieler des Königs. Plantagenet gewinnt immer mehr Anhänger. Unter diesen Umständen ist wohl kaum an einen neuerlichen Ausbau der Handelsbeziehungen zwischen England und Königsberg zu denken. Nicht einmal das litauische Eibenholz für die Bogenschützen wird die Londoner Kaufleute dazu verlocken, freiwillig Fremde in ihre Kontore aufzunehmen und ihnen Einblick in ihr Tun zu gewähren.«
»Die Ereignisse in London scheinen dich sehr zu beschäftigen«, merkte Gernot an. »Erstaunlich, wie genau du das alles wiedergeben kannst.«
»Right!«,
entfuhr es Editha zutiefst beeindruckt. Nicht im Traum hätte sie zu hoffen gewagt, wie aufmerksam Caspar die Entwicklung in ihrer früheren Heimat verfolgte. Sie sah zu Gernot. Dessen Laune verschlechterte sich zusehends. Um ihn zu besänftigen, hakte sie sich an seiner Seite ein und strahlte ihn gewinnend an. »Ist es nicht herrlich, wie trefflich es unser Sohn versteht, das derzeitige Geschehen in der Welt zu beobachten und daraus gleich die richtigen Schlüsse zu ziehen? Für einen Siebzehnjährigen ist das alles andere als selbstverständlich. Das liegt wohl daran, dass er in vielem ganz der Sohn seines Vaters ist.« Sie tätschelte dem Gemahl den Arm.
Hin- und hergerissen zwischen dem Groll ob der offensichtlichen Niederlage und dem unverkennbaren Stolz auf den eigenen Spross zauderte Gernot. »Also gut«, lenkte er schließlich ein. »Es ist wohl meine Schuld, wenn du London nicht für geeignet hältst. Zu düster habe ich dir die dortige Lage ausgemalt. Wie aber sieht es mit Lübeck, Bremen oder meinetwegen auch Danzig aus? Wären das nicht Städte, die du einmal sehen möchtest? Immerhin blüht gerade in Danzig der Handel dieser Tage weitaus mehr, als uns Königsbergern lieb sein kann. Im Gegensatz zu uns haben sich die Danziger im letzten Jahr ein für alle Mal vom Joch der Kreuzherren befreit. Die neue Freiheit unter dem Schutz des polnischen Königs Kasimir nutzen sie für ihre Zwecke bestens aus. Ich wüsste aus früheren Zeiten noch so manchen Gefährten, bei dem du eine Menge lernen könntest. Davon abgesehen, würdest du viele aufregende Geschichten erleben.«
»Weil sich die Danziger plötzlich zum Vorkämpfer des Preußischen Bundes aufgeschwungen und damit gegen uns Königsberger gestellt haben?« Entrüstet mischte sich Editha ein. »Vergiss nicht, Gernot, dass du wie die anderen Altstädter Kaufleute der bündischen Sache inzwischen den Rücken gekehrt hast! Einen Altstädter Kaufmannssohn wie Caspar würden sie in Danzig derzeit wohl kaum freundlich empfangen.«
Editha löste sich eine Spur zu hastig von Gernots Seite und ging zwei Schritte auf Abstand. Im nächsten Moment schon ärgerte sie sich über ihre Unbeherrschtheit. Sie drehte sich zu Caspar um. Den Siebzehnjährigen schien es nicht im Geringsten zu stören, im Mittelpunkt des Interesses beider Eltern zu stehen. Kurz blitzte die Zungenspitze zwischen seinen Lippen hervor. Seine schlanken Finger glitten zum Hals, begannen, mit dem Tuch darum zu spielen. Zu Edithas Leidwesen trug er es sommers wie winters, um das vom Vater geerbte Feuermal im Nacken vor neugierigen Blicken zu verbergen.
»Verzeih, Vater, aber gerade jetzt ist es für mich ausgeschlossen, unsere Stadt zu verlassen«, erklärte er nach einer kurzen Pause.
»Und warum?«
»Weil bei uns in der nächsten Zeit noch viel aufregendere Dinge geschehen werden als in Danzig.«
»Ich glaube, da täuschst du dich, mein Sohn. Große Aufregungen sind hier in den nächsten Jahren bestimmt nicht mehr zu erwarten. Nachdem wir Altstädter uns zusammen mit den Löbenichtern vom Preußischen Bund befreit haben, haben uns die Deutschordensritter versichert, auf jegliche Form der Rache zu verzichten. Zum Beweis ihres guten Willens haben sie uns die alten Vorrechte wieder eingeräumt. Damit ist alles so, wie es zuvor gewesen war. Unruhe und Gewalt wird es nicht geben. Mögen auch die letzten Aufrührerischen unter den Ratsherren vorläufig im Kneiphof Unterschlupf gefunden haben, so werden auch die Kneiphöfer über kurz oder lang die Rückkehr unter die Obhut des
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