Gold und Stein
nicht am Reihebrauen, bei dem jedem Brauberechtigten der Stadt ein bestimmter Tag der Woche zum Bierbrauen zugewiesen und von den Brauknechten die riesige Sudpfanne in die Diele gestellt wurde. Vor einigen Jahren schon hatte Fröbel auf dem hinteren Teil seines Anwesens ein Sudhaus errichtet und sich eigenes Braugerät angeschafft. Dort führte Gunda das Brauen in seinem Sinn fort.
Gut gelaunt trat Agnes ein und ging bald ganz in der neu von Gunda zugewiesenen Aufgabe auf. Das Feuer unter der Maischpfanne im mittleren Raum sorgte für wohlige Wärme, während sie dort das Erhitzen der Maische beaufsichtigte. Das war keine sonderlich anspruchsvolle Tätigkeit. Ebenso wenig war das anschließende Läutern sonderlich spannend zu nennen. Dabei wurde die Maische im Läuterbottich gefiltert und durch Absinken der Malzreste in die flüssige Würze und den festen Malzkuchen getrennt. Letzteres bildete den Treber am Boden des Bottichs. Beim Anschwänzen wurde der Treber noch einmal mit klarem Wasser übergossen, um alle wichtigen Stoffe aus ihm herauszuschwemmen. Aufregend wurde es, wenn die Würze beim Kochen in der Sudpfanne durch die Zugabe des Hopfens ihren Geschmack erhielt. Agnes hoffte, Gunda dabei endlich einmal über die Schulter schauen zu dürfen. Das Lüften des streng gehüteten Braurezepts wäre eine Entschädigung für das seltsame Verhalten der Mutter in den letzten Tagen.
Ohne es offen auszusprechen, hielt Gunda sie von allen Orten fern, an denen ein neuerliches Zusammentreffen mit Laurenz Selege zu befürchten war. Weder durfte Agnes allein in der Schankstube die Gäste bedienen noch ohne Gundas Begleitung das Haus verlassen. Nicht einmal Großmutter Lore genügte der Mutter als Aufpasserin, wie der Gang zur Messe am vorigen Sonntag gezeigt hatte. Zum ersten Mal seit Fröbels Beerdigung vor einem Jahr hatten sie den wieder zu dritt angetreten.
Agnes unterbrach das Rühren in der Maische. Gundas strenge Aufsicht behagte ihr nicht. Ohnehin bewirkte sie damit das Gegenteil dessen, was sie erreichen wollte: Statt Laurenz Selege und seine rätselhaften Andeutungen zu vergessen, stand er Agnes umso deutlicher vor Augen. Bei der Erinnerung an seine unterschiedlich farbigen Augen wurde ihr flau. Der Mann war etwas ganz Besonderes. Schon allein deshalb musste sie ihn wiedersehen! Natürlich würde sie ihn bei der Gelegenheit auch nach der Ursache für Gundas seltsames Verhalten fragen. Die Mutter hatte ihn wiedererkannt, daran bestand kein Zweifel. Also musste etwas Wahres an seinen rätselhaften Andeutungen über die Zwillinge im Königsberger Löbenicht sein. War es Zufall, dass sie dasselbe Feuermal wie Agnes trugen und Gunda denselben Namen wie deren Mutter hatte? Noch dazu waren die beiden Frauen zur selben Zeit niedergekommen. Nein, das konnten keine Zufälle mehr sein. Das waren viel zu viele Übereinstimmungen. Noch dazu, wo Gunda nie ein Wort über Agnes’ leiblichen Vater verlor und auch Lore sich über ihn ausschwieg. Wenigstens hatte Fröbel nie behauptet, ihr leiblicher Vater zu sein.
Doch nicht allein dieser Fragen wegen wollte Agnes Laurenz Selege wiedersehen. Längst hatte sich die Begegnung mit ihm tief in ihr Herz eingegraben. Ihr Blick wanderte von der brodelnden Maische hinunter zur züngelnden Flamme unter dem Bottich. Der Klang seines Namens machte sie schaudern. Sie sehnte sich danach, seine wohltönende Stimme zu hören, die langen, schlanken Hände zu bewundern und das sanfte Lächeln um seinen Mund aufblitzen zu sehen. Er musste ein recht erfolgreicher Werkmeister sein, das meinte sie an seinem feinsinnigen Auftreten abzulesen, wie auch sein gelehrtes Gebaren und die kostbare Kleidung dazu passten.
»Rollt die Fässer gleich nach hinten durch!«, rief die Mutter quer durch den vorderen Raum. Agnes erschrak. Schon ertönte lautes Poltern, Männer ächzten, das Gackern der Hühner im Hof wurde lauter. Rasch zupfte sie sich das Halstuch zurecht und stierte so angestrengt in den Bottich, als hätte sie die ganze Zeit nichts anderes getan.
Auf Gundas Geheiß lenkte Ulrich einen Böttchergesellen, der ein hüfthohes Fass über den Boden rollte, durch die Enge des Sudhauses. Allerorten standen Fässer, Bottiche, Körbe und Kisten im Weg. Der einäugige Brauknecht kannte jeden Winkel, und so gelang es ihm, das Fass unbeschadet dicht an Agnes und dem Maischbottich vorbei in den hinteren Teil des Sudhauses bringen zu lassen. Eine Wolke scharfen Männerschweißes mischte sich mit dem herben
Weitere Kostenlose Bücher