Gold und Stein
verfing. Alle zuckten zusammen. Gernots eben noch friedliches Gesicht verwandelte sich jäh in eine wutverzerrte Grimasse. Die Hände zu Fäusten geballt, stürmte er auf seine Gemahlin zu. Schreckensbleich verharrte sie auf ihrem Platz. Caspar sprang vor sie, breitete die Arme schützend zur Seite aus und starrte Gernot wild entschlossen entgegen.
»Um Gottes willen, haltet ein!« Laurenz eilte dem Wütenden nach und hob die Hände, um ihn zu packen.
Agnes war entsetzt. Der erste Eindruck hatte getäuscht: Gernot konnte von jetzt auf gleich derart außer sich geraten, dass ihm alles zuzutrauen war. Woher wollte die Mutter wissen, dass er Kelletat nicht doch die Stiege hinuntergestoßen hatte? Kaum dachte sie diesen bösen Gedanken, stoppte der Vater, blieb kurz vor Caspar und der Fischartin stehen. Es sah aus, als fände er ebenso plötzlich, wie er sich vergessen hatte, wieder zur Besinnung. Laut schnaufend öffnete er die Fäuste und ließ die Arme sinken. Sein schwerer Leib bebte, beschämt sah er zu Boden.
»Verzeih, Editha«, sagte er leise, »aber ich habe dich bereits vorhin gebeten, dieses verfluchte Englisch ein für alle Mal sein zu lassen.« Langsam hob er den Kopf, fuhr in flehentlichem Ton fort: »Seit mehr als achtzehn Jahren lebst du hier bei mir. Für dich habe ich mein größtes Glück geopfert. Aber du bist nicht einmal bereit, auf deine Muttersprache zu verzichten!«
Kopfschüttelnd wandte er sich ab und schlug die Hände vors Gesicht. Caspar ließ die Arme sinken, auch Laurenz entspannte sich.
Agnes wechselte einen fragenden Blick mit Gunda, dann eilte sie zu Gernot. »Beruhige dich, Vater.« Kurz stockte sie, verwundert über sich selbst, wie selbstverständlich ihr die vertrauliche Anrede über die Lippen kam. Sie äugte abermals zu Gunda, die ihr aufmunternd zunickte. Sacht berührte sie Gernot am Arm und führte ihn zu einem Schemel, der neben dem Schreibpult stand. »Setz dich hierher und reg dich nicht auf. Wir haben noch einiges miteinander zu bereden.«
»Wie geht das zu?«, meldete sich die Fischartin zu Wort, kaum dass sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte. »Anscheinend habe ich Entscheidendes verpasst, wenn ihr alle schon so vertraut miteinander seid. Es freut mich zu sehen«, wandte sie sich siegesgewiss an Agnes, »wie einfühlsam du auch mit deinem Vater bist, mein Kind.«
»Sie ist nicht
dein
Kind!« Ungeduldig sprang Gernot auf. Von neuem schwollen ihm die Adern an den Schläfen an, sein Gesicht verfärbte sich gefährlich. Die Fischartin wich zurück.
»Gernot, bitte!«, rief Gunda besorgt, während Caspar und Laurenz abermals Position bezogen. In wenigen Schritten stand nun auch Gunda bei ihm, legte ihm die Hand auf den Arm und suchte seinen Blick. Das brachte Gernot zur Besinnung. Er biss sich auf die Lippen, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und richtete die Augen zur Decke, als fände er dort eine Eingebung. Agnes holte tief Luft.
»Ihr hört es selbst, liebe Fischartin«, wandte sie sich an Editha. »Euer Gemahl bestätigt Euch, was wir alle nur zu gut wissen: Ich bin nicht Eure Tochter, ebenso wenig ist Caspar Euer leiblicher Sohn. So wie das gerade unser Vater gesagt hat, wird auch Laurenz Selege das gern vor uns allen bestätigen. Ihr wisst, wer er ist?«
Laurenz grüßte die Hausherrin mit einer respektvollen Verbeugung. »Meine Mutter ist Gerda Selege gewesen, die Hebamme aus dem Löbenicht, bei der Hermine Hundskötter …«
»Ich weiß, wer das gewesen ist, ebenso weiß ich, wer Ihr seid«, fuhr die Fischartin schroff dazwischen. »Wer könnte je Eure seltsamen Augen vergessen?« Herausfordernd stellte sie sich vor ihn. »Auch Eure Muhme, die Streicherin, hat solche Augen. Ein grünes und ein blaues, das muss ein Zeichen sein. Die Frage ist nur: wofür? Doch lassen wir das. Verratet mir lieber, wieso Ihr glaubt, mir etwas über meine Kinder sagen zu können. Ihr seid doch wohl selbst keine Hebamme?« Böse lachte sie auf, musterte ihn von oben bis unten, um sich dann mit einem Blick in die Runde der Aufmerksamkeit aller zu versichern. »Die Dienste Eurer Mutter habe ich aus gutem Grund niemals in Anspruch genommen. Wer wollte schon im Beisein einer Frau gebären, die selbst so ein seltsames Kind wie Euch zur Welt gebracht hat? Kaum kann man Euch ins Gesicht schauen, so merkwürdig muten Eure verschiedenen Augen an. Wenn das mal mit rechten Dingen zugeht!«
»Editha, bitte!«, mahnte Gernot. Ärgerlich winkte sie ab.
»Verzeiht, lieber
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