Gold und Stein
besser!« Er lachte auf. »Allerdings bin ich froh, dich den Winter über zu Hause zu behalten.«
»Mal sehen«, murmelte Caspar und trat einen Schritt von ihm weg. So nah beieinander sahen sie sich tatsächlich verblüffend ähnlich, stellte Agnes fest. Trotz des Altersunterschieds wirkten sie wie die jeweils jüngere oder ältere Version ein und desselben Menschen. Agnes fiel es schwer, Gernot nicht allzu aufdringlich anzustarren. In Gernots Augen flackerte Unsicherheit auf, als sich ihre Blicke begegneten. Hastig wandte er sich ab, sah auch Gunda nur kurz an, was die mit einem belustigten Schmunzeln quittierte. Agnes beneidete sie um ihre Gelassenheit.
»Selege, mein Lieber!«, rief er übertrieben aus. »Wie schön, Euch nach so langer Zeit einmal wieder in meinem Haus zu begrüßen. Man sagt, Ihr seid vielbeschäftigt. Quer durchs ganze Land preisen sowohl die Kreuzherren wie auch die reich gewordenen Bürger Eure Baukünste in höchsten Tönen. Das freut mich sehr!«
»Vater, denkst du nicht, es wäre an der Zeit, die Damen zu begrüßen?« Entschlossen trat Caspar zu ihm und deutete auf Gunda und Agnes. Gernot tat, als bemerkte er erst jetzt deren Anwesenheit.
»Oh, verzeih, meine liebe Gunda!« Seine eben noch volltönende Stimme klang mit einem Mal zaghaft. »Bist du nicht einige Tage zu früh hier in Königsberg eingetroffen? Ich habe erst Anfang kommender Woche mit dir gerechnet.« Er streckte ihr die Hand entgegen. Das Zittern war offensichtlich.
Beherzt ergriff Gunda sie und sah ihn dabei weiterhin lächelnd an. »Du wirst doch nicht kleinlich die Tage zählen wollen, mein Lieber? Schau, wen ich dir mitgebracht habe: Agnes brennt darauf, dich kennenzulernen. Ebenso wirst du es kaum erwarten, endlich deine Tochter ans Herz zu drücken.«
Mit Nachdruck schob sie ihm ihre Tochter entgegen. Ohne Scheu sah Agnes ihn an. Gebannt verfolgten auch Caspar und Laurenz, was geschah. Die Zeit dehnte sich.
Gernot zauderte, verharrte unschlüssig bei Gunda, setzte zu reden an, brachte jedoch keinen Ton heraus. Sie versicherte ihm mit einem auffordernden Nicken auf Agnes, was zu tun war. Langsam breitete er die Arme aus. Offenbar erwartete er, Agnes liefe ihm entgegen. Trotzig verharrte auch sie an ihrem Platz, bis Gunda ihr einen mahnenden Blick zuwarf. Im selben Moment schritt Gernot auf sie zu und umarmte sie.
Zunächst rührte sich nichts in ihr. Weder Widerwillen noch Zuneigung keimte in ihr auf. Sie roch das Rosenwasser, mit dem er die dunkelblonden Haare ausgewaschen hatte, den Hauch von Minze in seinem Atem, die Mischung aus Lavendel, Salbei und Thymian, mit dem sein Samtrock vor Motten geschützt wurde. Als er sie endlich freigab, atmete sie erleichtert auf. Auf Armlänge hielt er sie vor sich fest und betrachtete sie aufmerksam. Geduldig ließ sie es geschehen.
Aus der Nähe wurde die Ähnlichkeit zwischen ihm und Caspar noch deutlicher. Unverkennbar hatten sie denselben belustigten Zug um den Mund, einen ähnlichen Augenaufschlag und die gleiche Art, die Augenbraue hochzuziehen. Natürlich wirkte Gernots Antlitz fülliger als Caspars, aufgeschwemmt von all den Jahren, die er dem Sohn voraushatte. In den bernsteinfarbenen Augen stand eine Erfahrung, die von Erlebnissen kündete, von denen Caspar nicht zu träumen wagte. Lediglich die Nase war eindeutig anders als die seines Sohnes. Eine Laune des Schicksals hatte dem Bruder damit eine unleugbare Erinnerung an Lore verliehen. Agnes traten Tränen in die Augen. Wie schade, dass die Großmutter diese Begegnung nicht mehr erlebte!
»
Good grief,
Gernot, was ist hier los?«, ertönte die Stimme der Fischartin von der Treppe. Noch bevor Gernot ihr antworten konnte, hastete sie in unerwartet flinken Schritten über die Stufen nach unten. Mit einem spitzen Aufschrei flog sie Caspar um den Hals. »
Thank goodness,
mein Kind, du bist wieder heil zu Hause!«
Sie bedeckte sein Gesicht mit Küssen, bis er sich entrüstet von ihr befreite. »Mutter, bitte!«
»Was ist, Darling?« Verwundert sah sie ihn an, wandte sich, als er nichts erwiderte, den anderen in der Diele zu. Gunda schenkte sie nur ein verächtliches Stirnrunzeln, Laurenz ein erstauntes Hochziehen der Augenbrauen. Als ihr Blick jedoch auf Agnes und Gernot traf, die weiterhin nah beieinanderstanden, verfinsterte sich ihre Miene, und sie zischte entrüstet: »
Heaven forbid,
was hat das zu bedeuten?«
»Hör endlich damit auf!«, schrie Gernot unvermittelt so laut, dass sich der Schall im Gewölbe
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