Gold und Stein
einem dunklen Tannengrün gehalten. Auffällige Bänder und Nähte unterstrichen den modischen Schnitt. Fast konnte man Selege für einen aufgeplusterten Gockel halten. Das einnehmende Lächeln aber und die bescheidene Art, sich zu bewegen, verhinderten dies.
»Gott zum Gruße, verehrtes Fräulein«, grüßte er und schenkte Agnes einen warmen Blick, der sie angenehm schaudern ließ. »Wie schön, Euch wiederzusehen. Fast habe ich befürchtet, Ihr gingt mir aus dem Weg. Das würde ich zutiefst bedauern.«
Den rechten Fuß mit den spitzen Schnabelschuhen weit vorgestreckt, die Hand aufs Herz gepresst, verneigte er sich vor ihr. Das entlockte ihr ein Schmunzeln.
»Es freut mich, Euch zu erheitern«, merkte er beim Aufrichten an. »Bei dem schaurigen Wetter draußen ist man um jede Aufmunterung froh. Was führt Euch hierher? Habt Ihr den Herrschaften Stein etwas auszurichten? Gestattet mir, dass ich Euch nach oben begleite.«
»Nein, nein«, winkte sie verlegen ab.
»Sie hat sich den Fuß verletzt. Weil es draußen gar so arg regnet, habe ich sie zum Aufwärmen an den Herd gebeten«, mischte sich die erste Magd ins Gespräch. Die Apfelwangen der Frau glühten. Nervös spielte sie mit den Fingern an ihrer Haube. Auch die zweite Magd, die gerade noch Agnes’ Haar frisiert hatte, schien darum bemüht, einen guten Eindruck auf Selege zu machen. Das Leinentuch hatte sie zum Trocknen am Herd aufgehängt. Nun brachte sie einen Krug Bier und zwei Becher, die sie auf dem Tisch in der Dielenmitte aufstellte. Einladend wies sie darauf. »Vielleicht wollen sich die Herrschaften erfrischen?«
»Danke, aber ich glaube, ich sollte jetzt besser wieder gehen.« Agnes erhob sich von dem Schemel und probierte vorsichtig, mit dem verletzten Fuß aufzutreten. Die klamme Kleidung klebte ihr auf den Schultern. Kaum trat sie zwei Schritte vom wärmenden Herdfeuer weg, fröstelte sie. Auch ihr Haar war noch nicht trocken. Es erschien ihr jedoch ungehörig, ohne das Wissen der Herrschaft länger im Haus zu verweilen. Noch weniger wollte sie im Beisein der beiden Mägde eine Unterhaltung mit Selege führen. Selbst auf die Gefahr hin, seiner Gesellschaft damit endgültig verlustig zu gehen, musste sie sich verabschieden. »Es war sehr freundlich von Euch, mir diese kleine Rast zu erlauben. Richtet Eurer Herrschaft bitte meinen innigsten Dank aus.«
»Erlaubt mir, Euch ein Stück Wegs zu begleiten.« Zuvorkommend reichte Selege ihr den Arm. »Es ist nötig, dass Euch jemand stützt. Ihr müsst Euren Fuß schonen.«
Sie hoffte, ihm fiel nicht auf, wie stark sie zitterte, als sie die Hand auf seinen Arm legte.
»Oh, ich sehe, Euer Kleid ist nass vom Regen. Vielleicht kann eine der Mägde eine Decke besorgen, die Euch als Umhang dient?«
Ungeduldig winkte er den beiden Frauen zu. Die erste Magd begriff sofort und holte einen Umhang, der neben der Tür auf einem Haken hing. Mit einem artigen Knicks reichte sie ihn Selege. Agnes bedauerte, für eine Weile die Hand von seinem Arm nehmen zu müssen.
»Danke. Er wird Euch später wieder zurückgebracht.« Behutsam legte er Agnes den Umhang auf die Schultern. Einen Moment länger als nötig ließ er dabei die Hände auf ihren Schultern ruhen. Sie wünschte, dieser Augenblick würde nie vergehen. Gierig sog sie seinen Duft ein.
»Gehabt Euch wohl!«, riss eine schrille Frauenstimme sie aus der Träumerei. Mit einem missbilligenden Gesichtsausdruck nickte die zweite Magd ihr zu. Als sie an der Seite von Selege das Haus verließ, genoss sie ihren neidischen Blick und reckte das Kinn ein wenig höher.
»Stützt Euch ruhig fest auf meinem Arm ab«, ermutigte sie Selege. Das Antlitz der Magd verfinsterte sich noch weiter. »Auf mich braucht Ihr keinerlei Rücksicht zu nehmen. Das Gewicht eines so zarten Fräuleins kann ich jederzeit gut ertragen.«
Geschickt half er ihr über die vielen Unebenheiten auf der Straße hinweg. Dazu fasste er sie bei der Hand und verzichtete zu ihrer Freude darauf, sie nach Überwinden der gröbsten Hindernisse wieder loszulassen. Unter dem Vorwand, weiterhin seiner Hilfe zu bedürfen, schmiegte sie sich enger an ihn. Die Haut seiner Hand war glatt und warm, selbst die beiden steifen Finger fühlten sich gut an. Ihr war, als umschloss auch er ihre Hand fester als nötig. Sie wähnte sich am Ziel ihrer geheimen Wünsche. Vergessen war der Schmerz im Knöchel, verdrängt der Streit mit der Mutter. Selbst der wieder einsetzende Regen und die Kälte berührten sie kaum
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