Gold und Stein
erweisen.«
»So?«, erwiderte sie spitz. »Und ich bin mir sicher, Ihr solltet besser darauf achten, was
Euch
gerade besonders am Herzen liegt. Euer alter Freund Gernot Fischart scheint es jedenfalls nicht zu sein, mein lieber Perlbach, sonst würdet Ihr solch unverschämte Unterstellungen gleich im Keim ersticken.«
Bebend vor Wut schwang sie den Zipfel ihrer Heuke vors Gesicht, machte auf dem Absatz kehrt und schlüpfte ohne ein Wort des Abschieds ins Haus. Den Türflügel warf sie so heftig zu, dass das ganze Haus zu beben schien.
11
D as Fieber wollte nicht schwinden. Mehrere Tage schon hielt es Agnes fest in den Fängen. Verwirrende Träume plagten sie. Laurenz Selege erschien ihr darin, streckte die Hand nach ihr aus, doch sie bekam ihn nicht zu fassen. Immer wieder entglitten ihr im letzten Moment seine zum Teil steif gekrümmten Finger. Darüber schob sich das Bild ihres Feuermals, wie es blaurot und hässlich ihren Nacken verunzierte. Doch es war nicht ihr Hals, an dem sie es entdeckte. Ein Kopf drehte sich zu ihr um, ein fremdes Gesicht sah sie an. Der Bursche, zu dem es gehörte, war in ihrem Alter. Obwohl sie ihm nie zuvor begegnet war, erfüllte sie bei seinem Anblick ein wohliges Gefühl. Aus bernsteinfarbenen Augen musterte er sie, lächelte über das ganze Gesicht. Eine lange, schmale Nase, versehen mit einem auffälligen Höcker gleich unterhalb der Nasenwurzel, teilte es in zwei ebenmäßige Hälften. Sie wollte sich vorbeugen und ihn küssen, er aber warf den Kopf übermütig nach hinten, schüttelte den dichten Schopf seines nackenlangen, dunkelblonden Haares. Langsam entschwand er in dunstige Fernen.
Schweißgebadet schlug Agnes die Augen auf und sah in eine verschwommene, nebelverhangene Welt. Von weit her drangen die besorgten Stimmen Gundas, Lores und Griets zu ihr. Kaum konnte sie die Umrisse der drei Frauen unterscheiden. Kniff sie die Augen zusammen, um mehr zu erkennen, wurde es nicht besser. Stattdessen verstärkte sich der Druck in ihrem Kopf, der sich bald darauf zu heftigsten Schmerzen über dem rechten Auge verdichtete. Antwortete sie auf die ihr gestellten Fragen, schienen die anderen ihre Worte nicht zu hören. Dabei meinte Agnes, der Schädel platze ihr beim Reden, so laut hallte ihr die eigene Stimme in den Ohren wider. Deshalb sparte sie sich meist die Anstrengung des Sprechens und trank lieber durstig aus dem Becher, den ihr die Mutter oder Großmutter gelegentlich an die Lippen setzte. Zugleich genoss sie die Kühle des feuchten Leinens, das sie ihr auf die Stirn legten. Alsbald versank sie wieder in ihren Träumen, versuchte von neuem, Laurenz und den Unbekannten festzuhalten.
»Bleib hier!« Energisch rüttelte Griet sie an den Schultern, ließ nicht ab, bis Agnes endlich die schweren Lider öffnete.
»Höchste Zeit, aufzuwachen«, erklärte die pausbäckige Magd. »Oder willst du gar nicht mehr gesund werden? Schau, was ich dir heute Besonderes bringe.«
Sie hielt ihr eine dampfende Schale entgegen. Ein verheißungsvoller Geruch stieg daraus auf. Agnes musste den Kopf leicht anheben, schnupperte, bis sie erkannte, was es war: Hühnerbrühe! Ehe sie sich’s versah, zog Griet das Gefäß mit der köstlichen Speise zurück. »Die kriegst du nur, wenn du nicht gleich wieder im Fieber versinkst.«
Schelmisch zwinkerte sie ihr zu. Die Aussicht auf die unverhoffte Köstlichkeit lohnte, die Augen weiter aufzuhalten. Zum ersten Mal hatte Agnes erkannt, wer vor ihr stand und mit ihr sprach. Willig ließ sie sich von Griet zum Sitzen aufrichten. Beflissen schüttelte die Magd das dicke Kissen in ihrem Rücken auf. Dankbar lehnte Agnes sich zurück. Gleich ging es ihr besser. Der dichte Nebelschleier zerriss, sie erkannte ihre nächste Umgebung wieder: die dicken roten Vorhänge am Bett, die gedrechselten Stangen des Himmels, der sich über dem Lager wölbte, die reichverzierte Wäschetruhe vor der Bettstatt, die Stühle und den Tisch mit dem Bild der Gottesmutter auf der gegenüberliegenden Wand. Griet hatte die unteren Holzflügel des Fensters an der Stirnseite des langgestreckten Raumes weit geöffnet. Milde Frühlingsluft wehte herein. Aus dem Hof klang das Gegacker der Hühner herauf, dazwischen mischte sich munteres Vogelgezwitscher aus den Büschen. Die Tauben gurrten. Hoch ragte die Spitze des blütenübersäten Apfelbaums vor dem Fenster auf. Ein Distelfink hüpfte auf das Fensterbrett und streckte den weißen Schnabel neugierig in die Stube. Das bunte Federkleid
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