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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Nicken antworten. Griet wartete das kaum ab, sprudelte bereits eifrig los: »Da ist nämlich noch etwas anderes, was dieses schwebende Gefühl in wahre Wonne verwandelt. Erst weiß man nichts davon, fürchtet sich sogar ein wenig davor. Hat man aber einmal von dem Kelch mit dem süßen Trank gekostet, will man stets mehr und immer mehr davon trinken. Eine regelrechte Gier erfasst einen. Es schmeckt so wundervoll und berauscht vollends. Ach, Kleines, was rede ich da?« Sie kicherte wie ein kleines Mädchen. »Es ist doch verboten, davon zu sprechen oder gar sich dem offen hinzugeben. Vor allem für uns zarte weibliche Geschöpfe. Der Garten der Lust, so heißt es überall, sei ein verrufener Garten. Höchstens die Männer dürften ihn betreten. Pah, wie töricht! Dabei brauchen sie uns, um ihn in all seinen Freuden auskosten zu können. Ach, wenn du wüsstest, wie es sich anfühlt, wie heiß diese Glut in einem brennen kann. Wie man alles um sich herum vergisst und einfach nur noch dahingleitet in diesem wundervollen Rhythmus. Das Miteinander ist das Schönste daran. Unglaublich, wie zwei Menschen derart eins werden, so innig miteinander verschmelzen können.«
    In seliger Verzückung faltete sie die Hände vor der Brust und verlor sich in einem verheißungsvollen Lächeln. Über der Schwärmerei presste Agnes sich die Hände auf die Ohren. Trotzdem drang jede Silbe zu ihr vor. Wie konnte Griet nur derart reden? Woher wusste sie in Worte zu fassen, was Agnes bei Laurenz empfunden hatte? Dabei waren ihre Gefühle für ihn doch einzigartig. Sie war sich sicher: So innig wie sie hatte nie zuvor jemand geliebt oder gefühlt. Niemals konnte irgendwer diese Hitze in sich gespürt, diesen unwiderstehlichen Drang empfunden haben, sich dem anderen ganz und gar hinzugeben. Nicht einmal Großmutter Lore, auch wenn sie sich selbst achtzehn Jahre nach Großvater Ewalds Tod noch nach ihm verzehrte. Dennoch: Von ihr musste sie diese Leidenschaft geerbt haben. Wenn, dann war die Großmutter zu etwas Vergleichbarem fähig, die Mutter ganz gewiss nicht. Die brachte es nicht einmal über sich, zu Agnes zärtlich zu sein, geschweige denn, einem anderen Menschen eine Geste der Zuneigung zu schenken. Von neuem sah Agnes Laurenz’ geliebtes Gesicht nah vor sich, spürte seinen warmen Atem auf der Haut. Bei der Erinnerung an den Kuss brannten ihr die Lippen. Sie schmeckte seine Zunge wieder in ihrem Mund, spürte seinen Herzschlag in ihrer Brust. Eins stand fest: Nach Laurenz würde es keinen anderen mehr für sie geben. Hätte das Fieber sie doch dahingerafft, dann bliebe ihr wenigstens das Weiterleben ohne ihn erspart.
    »Du hast keine Ahnung!«, hörte sie sich plötzlich schreien und schlug die Decke zurück. Ehe sie sich’s versah, saß sie aufrecht im Bett und funkelte Griet zornig an. »Du weißt überhaupt nicht, wovon du redest.«

12
    S tille breitete sich im Schlafgemach aus. Die eben noch so vertraute Nähe zwischen Agnes und Griet war zerstört. Erschrocken sahen sie einander an. Im selben Moment öffnete sich die Tür.
    »Oh, unsere Kranke befindet sich auf dem Weg der Besserung. Wie schön, sie wieder aufrecht im Bett sitzen zu sehen.« Gut gelaunt schob sich Großmutter Lore ans Bett. »Wie konntest du uns nur so einen Schrecken einjagen, Liebes? Ein derart hohes Fieber habe ich selten bei jemandem erlebt. Am Mairegen allein mag es nicht gelegen haben. Der macht schön, wie es heißt, aber nicht todkrank.«
    Geschäftig stopfte und zupfte sie an der Bettdecke herum, strich wie zufällig mit den Fingern über Agnes’ Wange, fühlte die Temperatur an ihrer Stirn. »Bist du kräftig genug, eine Überraschung zu vertragen?«
    Aufmerksam musterte sie ihr Gesicht. Griet stieß ein kaum hörbares Glucksen aus. Die Großmutter und die Magd wechselten belustigte Blicke, sahen dann beide einhellig zur Tür, die im nächsten Moment aufschwang, und Ulrich trat ein. Viel war nicht von ihm zu sehen. Direkt vor Brust und Gesicht hielt er eine große Kiste, die mit einem hellen Tuch verhüllt war. Vorsichtig näherte er sich dem Bett. Agnes wich zurück, starrte gebannt auf den Knecht. Schwungvoll zog Griet das Tuch fort. »Grüß dich!«, knarzte ein grauroter Papagei in seinem Käfig.
    »Wo habt ihr den her?« Agnes jauchzte auf, schlug die Hände vor den Mund. Andächtig betrachtete sie das im Sonnenlicht schimmernde Gefieder des ungewöhnlichen Tieres, musterte den riesigen schwarzen Schnabel und die leuchtend roten Schwanzfedern. Es

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