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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Tränen das Sprechen unmöglich machten. »Am besten sofort.«
    »Aber Liebes! Sei nicht voreilig und überleg es dir noch einmal in Ruhe. Gerade bei einem derart großen Liebesbeweis solltest du dir sicher sein, was du tust. Der arme Selege wird zutiefst verstört sein, wenn du dieses Geschenk abweist.«
    Lore griff nach ihrer Hand und sah ihr eindringlich in die Augen.
    »Ich kann den Vogel nicht annehmen«, presste Agnes mühsam unter aufsteigenden Tränen heraus, »gerade weil ich weiß, was das Geschenk bedeutet.«
    »Agnes, Kind, bedenke bitte«, verlegte Lore sich aufs Flehen, »schenkt ein Mann einer Dame einen Vogel, legt er ihr damit sein Herz zu Füßen. Bei einem so wertvollen wie diesem Papagei ist das ganz offensichtlich.«
    »Ich will Laurenz nie wiedersehen.«
    »Weißt du, was du ihm damit antust?«
    »Schluss damit! Ich kann es nicht mehr hören! Ihr lügt doch alle!«
    Agnes packte die Decke, zog sie sich über den Kopf und warf sich zur Seite. Hemmungslos weinte sie in die Kissen.

13
    A uf dem Gemeindeland im Südosten Wehlaus herrschte ausgelassene Stimmung. Die Heuernte bereitete dem Gesinde großen Spaß. Flink hüpften die in helle Kittel, weiße Kopftücher oder gelbe Strohhüte gekleideten Mägde und Knechte mit nackten Füßen über die Felder. Weit ausholend schwangen die Burschen die Sensen, behende rechten die Mägde die abgeschnittenen Halme zu Haufen zusammen. Frauen und Kinder rafften sie zu Bündeln und verschnürten diese. Trotz der mühseligen Arbeit blieb allen genug Luft für ein fröhliches Lied oder eine freche Neckerei. Sanft trug der Wind das vielstimmige Lachen über das Land.
    Agnes stand etwas abseits am Wegesrand und schirmte die Augen mit der flachen Hand gegen die gleißende Vormittagssonne ab. Die Finger ihrer linken Hand spielten gedankenverloren mit den Zipfeln des hellen Halstuchs. Sehnsüchtig sah sie dem Treiben auf den Wiesen zu. Wie wünschte sie sich, eine der lachenden Mägde mit den Heubündeln zu sein! Oder eine der Frauen, die das Heu zusammenrechten. Das unbeschwerte Lachen würde sie endlich auf andere Gedanken bringen. Viel zu oft hatte sie in den letzten Wochen von dem fremden Burschen mit dem Feuermal geträumt. In der Ferne erspähte sie eine Gestalt. Die Bewegungen schienen ihr vertraut. Laurenz Selege! Sie erstarrte und kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. Er stand mit dem Rücken zu ihr, beugte sich zu einer der Frauen hinunter und küsste sie. Die Frau ließ den Rechen fallen, umarmte ihn und versank mit ihm in einem leidenschaftlichen Kuss. Agnes kribbelte es im Bauch. Sie meinte, Laurenz’ Lippen auf den ihren zu spüren, den Geschmack seiner Zunge im Mund zu schmecken. Jäh fuhr der Mann in der Ferne herum. Es war nicht Laurenz. Sie wusste nicht, ob sie sich darüber freuen oder weinen sollte. Sosehr sie Laurenz in einem Moment herbeisehnte, so sehr fürchtete sie im nächsten das Wiedersehen. Seit ihrer Genesung war er spurlos verschwunden. Die Zurückweisung seines wertvollen Geschenks musste ihn zutiefst verletzt haben. Beschämt senkte sie den Blick. Das hatte sie nicht gewollt. Zugleich wollte sie sich nicht mit ihrer Mutter und Großmutter überwerfen. Griet hatte recht, in der Liebe lagen Freud und Leid eng beieinander. Das eine schien ohne das andere nicht denkbar.
    »Wir müssen weiter«, mahnte Ulrich und schob den Karren an. Agnes sah auf. Die zwei großen Fässer Bier sollten sie zu Kollmann ins nahe Bürgerdorf bringen. In der flirrenden Hitze kein angenehmer Gang, führte die von unzähligen Fuhrwerken stark ausgefahrene Straße doch mitten durch die Gemeindewiesen. Kaum ein Baum oder Strauch spendete Schatten. Dennoch war Agnes froh, den einäugigen Brauknecht begleiten zu dürfen. Es tat gut, für einen Tag aus Lores und Gundas Dunstkreis zu fliehen.
    »Warum bringen wir Kollmann eigentlich regelmäßig Bier? Braut er nicht selbst welches oder bekommt es von den Bauern seiner Lischke?« Im Gehen brach Agnes sich am Wegesrand eine weiße Blütendolde ab, spielte mit den ausgefransten Blättern, roch an der Blüte und äugte dabei zu Ulrich. Das Schieben des Karrens war anstrengend. An den Rändern der verschlissenen Gugel, unter der sein blondes Haar verschwand, zeichnete sich dunkle Feuchtigkeit ab. Auch auf der Stirn stand ihm der Schweiß. Die Ärmel seines Kittels hatte er hochgekrempelt. Das Muskelspiel an seinen Armen flößte Agnes Respekt ein. Sie bewunderte auch die riesigen Hände, die sich fest um die Griffe

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