Gold
Gewinnen vergessen?«
Sie wurde rot. »Nein.«
»Und?«
»Ich bin keine Rennen gefahren.«
»Verletzt?«
Sie schaute zu Boden. »Mein Vater ist gestorben.«
»Und Sie haben gedacht, er käme zurück, wenn Sie sich die Rennkarriere versauen?«
Sie sah ihn schockiert an.
»Wir nehmen hier kein Blatt vor den Mund, Kate. Wenn Sie so gut sind, wie es aussieht, und Sie Ihre zwei Beine noch haben, sollten Sie verdammt noch mal weiterfahren. Verstanden?«
»Tut mir leid.« Sie errötete noch tiefer.
Er lächelte. »Mein Beileid. Haben Sie alles dabei?«
Sie kam zum Empfangstresen und zeigte ihre Sporttasche. »Ich denke schon. Ich meine, ich habe nur das mitgebracht, was ich für die Rennen brauche. Ich weiß nicht, ob es die richtigen Sachen sind.«
Tom sah sie an. »Sie wissen es wirklich nicht, oder?«
»Was?«
»Ob es die richtigen Sachen sind.«
Sie stand da und ließ den Kopf hängen, war völlig durcheinander.
Tom lehnte sich auf seinem Sitz zurück. »Alles in Ordnung, Kate Meadows. Wir setzen Sie wieder auf die Spur. Gehen Sie durch, der Trainer kommt um neun.«
Er musterte auch die anderen Jugendlichen. Um neun Uhr waren alle außer Jack Argall erschienen. Tom verließ den Empfang und begab sich ins Velodrom, um zu sehen, wie seine neuen Talente im Zwielicht der Halle miteinander agierten.
Es waren insgesamt elf, sechs Mädchen und fünf Jungen. Die Jungen saßen zusammen weiter oben auf der Tribüne, lümmelten auf den Klappsitzen und redeten über Keats und edles Porzellan oder worüber Jungs auch immer sprachen, wenn sie die nächsten acht Stunden damit zubringen würden, einander auf der Bahn zu jagen. Sie sahen aus wie Modellathleten mit wenigen beweglichen Teilen. Zoe stellte sich für alle gut sichtbar an der hellsten Stelle der Bahn auf, die Füße schulterbreit auseinander, und beobachtete sie. Sie hatte ihre Sporttasche quer auf zwei der besten Plätze gestellt und bewegte sich, als gehörte ihr die ganze Halle. Tom beobachtete sie, während sie den anderen Mädchen beim Aufwärmen zusah.
Vier von ihnen kamen aus der Juniorenklasse und waren miteinander befreundet: Clara, Penny, Jess und Sam. Tom hatte alle vier schon bei Rennen beobachtet. Sie saßen im Technikbereich auf dem Boden und machten gemeinsam Dehnübungen.
Tom beobachtete, wie Zoe ihre Form analysierte. Clara war kräftig, eine Gewichtheberin auf dem Rad. Unschlagbar bis zu dem Moment, in dem ihre Muskeln höflich um Sauerstoff baten. Tom merkte, wie Zoe sie mit einem Blick abtat. Penny war nicht so leicht einzuschätzen. Sie half Clara beim Dehnen, drückte ihr die Hand ins Kreuz, während Clara ihre Zehen berührte. Pennys Arm war dünn, geradezu mager. Sie hatte offenbar für Langstrecken trainiert; ihre Muskelmasse war stark reduziert, der Körperfettanteil tendierte gegen Null. Sie machte eher den Eindruck einer Triathletin als einer Bahnradfahrerin. Ihre Gesichtszüge waren scharf, und als sie über eine Bemerkung von Clara lachte, sah Tom ihr zurückgebildetes Zahnfleisch. Der Grat zwischen extremer Leistungsfähigkeit und chronischer Krankheit war sehr schmal – ein Hauch zu viel Training, und man stürzte ab. Penny sah nicht aus, als wäre sie noch auf der richtigen Seite. Zoe schien sich zu entspannen.
Jess und Sam saßen einander gegenüber, die Fußsohlen gegeneinander gedrückt. Sie umklammerten die Handgelenke der anderen und dehnten abwechselnd den Rücken. Jess war hübsch, hatte rot gefärbte Strähnen im Haar. Auf dem unteren Rücken war eine Tätowierung zu sehen, eine stilisierte Sonne mit Gesicht und einer Mähne aus Sonnenstrahlen. Immer wenn sie sich vorbeugte, ging die Sonne über dem Bund ihrer Sporthose auf. Sie hatte einen guten Rücken und dehnte sich wie eine Turnerin, federnd und elastisch. Aber sie war womöglich zu zierlich, um sich im Wettbewerb physisch zu behaupten. Wenn sich ein schmales Fenster auf der Bahn auftat, musste man die Kraft haben, sofort eine Stufe hochzuschalten und durch den Spalt zu schießen, bevor er sich wieder schloss. Jess sah kräftig aus, doch womöglich fehlte es ihr am nötigen Antritt. Tom schätzte ihre Chance auf fünfzig zu fünfzig. Auch Zoe schien neugierig auf das Mädchen.
Dann ließ Zoe ihren Blick zu Sam schweifen, die offenkundig kein Ass war. Ihr Rücken wirkte steif, wenn sie sich dehnte, und die Schultern spröde, und Tom fragte sich, ob sie verletzt war. Sie lächelte nicht, und ihm war klar, dass sie Jess’ Überlegenheit spürte, während sie
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