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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Stift in die Tasche und drehte die Zeitschrift um, sodass sie die Telefonnummer lesen konnte.
    Sie lächelte. Er lächelte.
    »Das ist die Nummer einer sehr guten Freundin von mir, wir haben zusammen studiert«, sagte er sanft. »Eigentlich ist sie klinische Psychologin, aber du solltest dir kein falsches Bild von ihr machen. Man kann mit ihr einfach sehr gut über alles reden, was einem auf der Seele liegt. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was du mit den Medien durchmachst, aber es dürfte nicht einfach sein.«
    Eine eisige Hand umklammerte ihre Brust, und sie musste sich zwingen zu lächeln. Sie lächelte, als wäre die Situation nicht vollkommen entsetzlich und unerträglich peinlich, sondern als hätte sie sich genau das an diesem Punkt ihres langen und schwierigen Liebeslebens von ihm erhofft: eine Überweisung.
    »Danke, ich rufe sie an.«
    Sie lächelte, als er die Jacke anzog, grinste, als er sie keusch auf die Wange küsste, und strahlte, als er unsicher an dem Mechanismus herumfummelte, mit dem sich die hochglanzlackierte, olivfarbene Wohnungstür öffnen ließ.
    »Nur schieben«, sagte Zoe.
    Der Mann drehte sich um und lächelte flüchtig. »Ich drücke dir die Daumen.«
    »Ja«, sagte sie fröhlich, »toll.«
    Die Tür glitt auf und wieder zu, fast geräuschlos, kaum lauter als ihr eigener Atem. Endlich konnte das Lächeln verschwinden und einem neutralen Ausdruck weichen.
    Frustriert schlug sie auf die Esstheke und zuckte zusammen, als die Wunde unter dem sterilen Verband zu schmerzen begann.
    Sie trat ans Fenster, beugte sich vor und starrte lange auf die Stadt hinunter.
    Um neun Uhr, als die Sonne auf den nassen Straßen weit unter ihr glänzte, rief ihre Agentin an.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja. Keine Sorge. Rufst du wegen der Geschichte an?«
    »Ja. Hast du das im Fernsehen gesehen? Wir müssen die Situation in den Griff bekommen. Wenn sie dir dieses Etikett aufpappen, sind die Sponsoren weg.«
    »Das legt sich wieder.«
    »Willst du das Risiko wirklich eingehen? Ich glaube, du musst den Zeitungen etwas Glanzvolles liefern, um sie abzulenken. Und zwar, bevor sie die morgige Ausgabe drucken. Sonst könnte das noch einen Tag so weiterlaufen.«
    »Was soll ich ihnen denn liefern?«
    »Ein gutes Foto würde schon reichen. Du müsstest lächeln. Und ein bisschen Haut zeigen.«
    »Oh, bitte.«
    »Ich habe die Regeln nicht gemacht, klar? Ich verdiene nur fünfzehn Prozent, indem ich dich anflehe, sie zu befolgen.«
    Zoe zog den Bademantel enger und seufzte tief.
    »In Ordnung. Wenn es sein muss.«
    Die Erleichterung ihrer Agentin war förmlich greifbar. »Tut mir leid. Es ist unwürdig, ich weiß, aber wir müssen die Medien in den Griff kriegen. Ich meine – «
    »Schon gut, schon gut. Diese Fotogeschichte – was muss ich dafür machen?«
    »Wir brauchen etwas Positives. Etwas, das Sympathie weckt.«
    »Zum Beispiel?«
    »Könntest du nicht irgendeine Wohltätigkeitsveranstaltung besuchen?«
    »Woran denkst du?«
    »Ich weiß nicht … vielleicht was mit Kindern.«
    »Du weißt doch, was ich von Kindern halte.«
    »Schön. Sport?«
    Zoe schloss die Augen. »Ich mache schon genug Sport.«
    Ihre Agentin überlegte kurz. »Kannst du irgendeine Freundin aktivieren? Eine Beste-Freundin-Story, die dich menschlicher aussehen lässt?«
    »Na ja, Kate vielleicht.«
    »Ich rede nicht von einem Foto mit Fahrrad. Du musst etwas Interessantes machen.«
    »Sind Radrennen etwa nicht interessant?«
    »Schätzchen«, sagte ihre Agentin, »Menschen interessieren sich für menschliche Dinge.«
    »Schön, dann machen Kate und ich eben etwas Menschliches.«
    »Das wird auch nötig sein. Sonst fressen dich die Zeitungen morgen bei lebendigem Leib. Und denk bitte daran, auf den Fotos zu lächeln. Du hast so ein wunderbares Lächeln.«
    Zoe schwieg und dachte an Kate. Dann und wann gab es Augenblicke – wie gestern nach dem Unfall –, in denen sie begriff, wie nahe sie einander standen. Einen Menschen bei sich zu haben, der sie in Dunkelheit und Regen und blitzendem Blaulicht von der Straße aufhob, und zwar nicht, weil es sein Job war, sondern weil er es wollte, hatte Zoe unendlich viel bedeutet. Später im Krankenwagen hatten sie wie Schwestern miteinander gesprochen, so stellte sie sich den Umgang zwischen Schwestern jedenfalls vor. Und sie hatte Angst bekommen. Darum hatte sie gezögert, sich zu öffnen, und einen scharfen Ton angeschlagen – sie wollte wieder auf Distanz gehen. Sie brauchte Kate, aber

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