Gold
sie ewig weitergefahren. Stattdessen drehte sie zwanzig langsame Runden und versuchte, den bewusstlosen Jack nicht anzusehen. Als sie ihn schließlich forttrugen, machte sie sich auf den Weg zu den Standrädern in der Mitte des Velodroms, um sich abzukühlen.
Es war ihr Ziel, ihren Herzschlag in Zehnerschritten von hundertsechzig auf achtzig zu senken, wobei sie für jeden Schritt zwei Minuten veranschlagte. Als sie bei hundertvierzig war, kamen ein paar andere Mädchen vorbei und warfen ihr seltsame Blicke zu. Sie zuckte mit den Schultern. Sie war doch nur schnell gefahren. Dann kam Kate, zitternd und in Tränen aufgelöst.
»Tut mir leid, Zoe, aber du hättest ihn umbringen können.«
Sie war bei hundertdreißig.
»Ich bin nur auf meiner Linie geblieben, sonst nichts.«
»Nein, du hast ihn geschnitten. Er musste ausweichen, um nicht mit dir zusammenzustoßen. Er hatte keine Chance.«
»Ich wollte ihn nicht schneiden. Ich wollte bloß nicht verlieren.«
Kate starrte sie an. Dann schluchzte sie einmal auf. »Scheiße! Das war doch nur ein blödes Trainingsrennen, Zoe.«
Zoe konnte ihrem Blick nicht standhalten. Wieder schnitt das Unglück tief in sie hinein. Es zerriss die Ruhe, die das Rennen ihr geschenkt hatte. Sie kämpfte dagegen an, doch die Verwirrung war wieder da. Sie sah zu Boden und schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Kate. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
Kate schaute sie lange an, trat näher und berührte ihren Arm. »Vielleicht solltest du mit jemandem reden. Du weißt schon, mit einem Arzt.«
»Ja.«
»Gibt es jemanden, der mit dir hingehen kann?«
»Klar. Natürlich.«
Kate drückte ihren Arm. »Wen denn?«
Sie blickte auf den Herzmonitor. »Eine Menge Leute.«
»Du hast niemanden, stimmt’s?«
Gib es bloß nicht zu. Das war ihr erster Gedanke. Sie durfte keine Schwäche zeigen. Sie würde jahrelang gegen dieses Mädchen Rennen fahren. Sie durfte ihr nicht den kleinen Finger geben. Erfinde eine Familie. Erfinde einen Partner. Erfinde einen Pekinesen, aber sag nicht, dass du allein bist.
»Du bist einfach ein netterer Mensch als ich. Belassen wir es dabei«, sagte sie schließlich.
»Bitte, ich wollte doch nur sagen, dass ich dich begleiten könnte. Wenn du möchtest. Ich meine, wir werden doch immer gegeneinander fahren. Und da fände ich es schön, wenn wir Freundinnen wären.«
Dreizehn Jahre später versuchte Zoe in ihrer Wohnung im sechsundvierzigsten Stock, die Hände ruhig zu halten, während sie sich den dritten doppelten Espresso machte.
Du solltest mit jemandem reden. Das sagten alle, wenn sie einen gern hatten.
Glückliche Menschen glaubten an jemanden. Das war der Unterschied zwischen ihr und Kate. Menschen wie sie ließen immer ein bisschen Raum neben sich, als erwarteten sie jemanden. Selbst in ihren schlimmsten Augenblicken konnten sie sich jemanden vorstellen. Einen magischen Jemand, der sie mit Worten wieder zusammenklebte. Dieser Jemand musste gut zuhören können und sie genau verstehen, und man durfte ihn nicht getötet haben, als man zehn Jahre alt war.
Zoe trank den Kaffee aus und ging ins Bad, um ein zweites Mal an diesem Morgen zu duschen. Mit dem Wasser spülte sie den Assistenzarzt davon und ihre Agentin und die Erinnerung an den Unfall mit Jack. Als alles verschwunden und sie wieder allein war, weinte sie. Ohne großen Aufwand. Es ging mechanisch: Tränen, die aus einem simplen Überdruck erwuchsen. Sie weinte fast lautlos, die Tränen mischten sich mit dem Wasser der Dusche. Alles kam heraus. Sie probte ihre Rede für die Goldmedaille in London, um den Schmerz in ihrem Körper zu ertränken. Ich bin einfach froh, dass ich heute mein Bestes gegeben und die anderen Mitglieder des Teams nicht im Stich gelassen habe. Die Unterstützung, die ich überall und von den ganzen Fans bekommen habe, war unglaublich und wow, so viele britische Flaggen, vielen Dank, Leute.
203 Barrington Street, Clayton, East Manchester
Jack hob Sophie behutsam hoch, um den Venenkatheter nicht zu berühren, wenn er sie nach unten trug. Er blieb in der Tür ihres Zimmers stehen.
»Kann ich dich wirklich nicht dazu überreden, dich anzuziehen, Kleines?«
Sophie kicherte und strampelte. »Nee!«
»Du willst also dein ganzes Leben in diesem Schlafanzug verbringen?«
Er konnte spüren, wie Sophie an seiner Schulter nickte.
»Im Schlafanzug? Ehrlich? Selbst wenn du wieder zur Schule gehst? Selbst bei deiner Hochzeit?«
Sie nickte wieder.
»Selbst wenn du bei den
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