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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Küchentisch, sah ihrem wunderhübschen Hintern nach und fragte sich, welche Berechnungen das Leben angestellt haben mochte, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass er sie verdient hatte. Vielleicht war das Schicksal einfach abgelenkt gewesen und hatte die falschen Pillen aus den Flaschen genommen.

Toilette unter der Treppe, 203 Barrington Street, Clayton, East Manchester
    Kate trug Sophie zur Toilette und zog die Kordel für die Glühbirne. Dann nahm sie ihrer Tochter die Star Wars- Baseballkappe ab, damit sie ihr nicht über die Augen rutschte. Sie wartete. Manchmal tröpfelte es schon, bevor Sophie die Hose heruntergezogen hatte, ein anderes Mal musste sie länger als eine Minute warten, bis es losging. Dann wieder war es falscher Alarm, und sie warteten in feierlichem Schweigen, bis sie den Versuch für beendet erklärten. So war das bei der Chemo. Sie wirkte sich einfach auf alles aus.
    Sie dachte an die SMS, die sie vorhin erhalten hatte.
    »Zoe und ich müssen uns heute Nachmittag nach dem Training noch mit Tom treffen«, rief sie Jack zu. »Irgendein Problem. Könntest du dich heute ein bisschen länger um Soph kümmern?«
    »Klar«, antwortete er. »Vielleicht kommen wir ja auch zuschauen.«
    Kate sah zu, wie sich die Oberschenkel ihrer Tochter anspannten und wieder lösten, während sie zu pinkeln versuchte.
    »Möchtest du mitkommen und mir und Zoe beim Training zusehen? Im Velodrom könnte es allerdings ziemlich kalt sein.«
    Beinahe wünschte sie sich, Sophie würde nein sagen, doch ihre Tochter sagte: » Okay .« Gepinkelt hatte sie immer noch nicht.
    Während Kate wartete, ging sie im Kopf die Logistik für den Nachmittag durch. Wenn Jack mit Sophie ins Velodrom kam, wäre ihre Sporttasche zum Bersten gefüllt. Sie würden die Sauerstoffbehälter und das Katheter-Set und die Liste der Ärzte benötigen, die Bereitschaft hatten. Sie brauchten die Notfallspritzen, den Inhalator und den kompletten Satz Star Wars -Actionfiguren. Außerdem ein Dutzend Kleinigkeiten, die irgendwie in der Notfalltasche gelandet waren, lauter Dinge, deren Sinn sie vergessen hatten, die man aber brauchen würde, sobald man sie aussortiert hatte. Was in ihrem Fall ziemlich beschissen wäre. Sophie durfte nicht sterben, nur weil Mummy und Daddy den kleinen Adapter für die Sauerstoffzufuhr weggeworfen hatten, da sie ihn für das Ersatzteil einer längst entsorgten Fahrradpumpe gehalten hatten.
    Zoe hingegen würde ihre Wohnung nur mit ihren Sportsachen und dem Wohnungsschlüssel in der Jeanstasche verlassen. Um zum Velodrom zu fahren, würden Kate und Jack ihre Tochter im Autositz anschnallen, den Sicherheitscheck machen und mit größter Vorsicht an einem Dutzend riesiger Reklametafeln mit Zoes Gesicht vorbeifahren. Ihre grünen Augen, ihr grünes Haar, der grüne Lippenstift am Rand des grün beschlagenen Glases. Perrier: am liebsten kalt. Bis die Argalls die Tour hinter sich gebracht und das Velodrom erreicht hätten, würde sich Zoe schon seit einer Stunde aufwärmen. Wie sollte Kate da mithalten? Zoe lebte allein im höchsten Haus von Manchester, Kate hier unten auf der Erde mit ihrer Familie.
    »Wollen wir’s aufgeben?«, fragte sie sanft.
    Sophie seufzte. »Ja.«
    Sie half ihrer Tochter, den Schlafanzug hochzuziehen, und umarmte sie. Sie wusste, dass sie im Rennen heute Nachmittag an Sophie denken würde. Dann plötzlich würde Toms Pfeife ertönen und sie in die Wirklichkeit zurückreißen, zu Zoe, die schon eine Zehntelsekunde Vorsprung hatte. Die Freiheit machte Zoe schneller und trauriger, doch Kate hätte um keinen Preis mit ihr tauschen wollen. Dennoch musste sie manchmal gegen ein Gefühl des Grolls ankämpfen. Obwohl sie wusste, was Zoe antrieb, was mit ihrem Bruder geschehen war, fiel es ihr schwer, die Zeiten zu vergessen, in denen Zoe der Kampf wichtiger als die Freundschaft gewesen war. Andererseits empfanden vielleicht alle so. Vielleicht kämpften alle mit jener unüberwindlichen Schwäche des menschlichen Gedächtnisses, die darin bestand, sich an ebenjene Dinge zu erinnern, die man unbedingt vergessen wollte. Vielleicht wäre es ein Wunder, wenn man mit zweiunddreißig seinen Freunden alles vergeben könnte.
    Kate schauderte und verdrängte den Gedanken.
    Sie sah lächelnd auf Sophie hinunter und schob ihr eine dünne Haarsträhne aus der Stirn. Sie blieb an ihrem Finger haften und löste sich von Sophies Kopfhaut. Es waren ihre letzten Haare. Ihre Tochter bemerkte es nicht.
    Kate setzte ihr die

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