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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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geimpft hatten, war sie auf dem Rad immer schneller und schneller im Kreis gefahren. Nun stand sie hier und wurde von den Kräften in ihrem Inneren förmlich überwältigt.
    Sie krümmte sich vor Scham, als sie in ihrer feuchten Unterhose mit der schweren Tasche über der Schulter durch Dunkelheit und Regen bis Manchester Piccadilly lief, wo sie gerade noch den letzten Zug nach Grange-over-Sands erwischte. Sie fuhr mit dem Taxi nach Hause und in den schlaflosen Stunden der Nacht sah sie aus dem Fenster zu, wie die schwarzen Wellen über den Strand leckten. Am Morgen fuhr sie mit ihrem Trainingsrad zurück zum Bahnhof und kaufte eine Fahrkarte nach Manchester. Sie war zu erschöpft, um sich über sich selbst zu wundern. Sie stieg in den ersten Zug gen Süden und saß brav in einer Ecke des Abteils, das sich rasch füllte. Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet und schaute hinaus in den Regen, der im rasenden Luftstrom quer über die Fenster floss. Sie war nicht mal mutig, sondern saß einfach nur da und fügte sich in die Demütigung, die sie bestimmt erwartete.
    Wie eine verurteilte Strafgefangene ging sie von Manchester Piccadilly zurück zum Krankenhaus. Mit schweren Schritten stieg sie zur Intensivstation hinauf und erfuhr dort, dass man Jack auf eine reguläre Station verlegt hatte. Ihr Kopf dröhnte vor Hunger und Übermüdung, während sie durch die bunt markierten Flure wanderte, bis sie ihn gefunden hatte. Sie stand vor der schweren Schwingtür, eine Hand flach darauf gelegt. Sie hatte keine Ahnung, wie Jack reagieren würde. Vielleicht ungläubig, dann verlegen, zuletzt mitleidig. Das Blut pulsierte in ihrem Kopf, und sie spürte, wie sich ihr Gesichtsfeld verengte, als würde sie ohnmächtig.
    Sie stieß die Tür auf. Sofort sah sie Jack, der in der Mitte des Zimmers schlafend im Bett lag. Er trug eine Halsstütze und hatte ein Bein im Streckverband. Auf einem braunen Stuhl neben dem Bett saß Zoe, mit rasiertem Kopf und schwarzer Daunenjacke. Sie sah aus, als hätte auch sie seit dem Unfall nicht geschlafen. Sie hielt Jacks Hand zärtlich umfasst.
    Als Kate den Raum betrat, schaute sie hoch. Sie starrten einander an. Kate sollte Zoes Blick – die Angst und die Herausforderung und das Elend darin – niemals vergessen. Bis heute nicht, obwohl sie Zoe nach all den Jahren nur noch als Freundin betrachtete.
    Kate riss zwei Blätter Toilettenpapier ab, faltete sie entlang der Perforation und legte sie vorsichtig in die Toilettenschüssel, um Sophies letzte Haare zu verbergen. Der Spülkasten war wieder voll – die Zeit hatte sich selbst erneuert –, und so zog sie am Griff und spülte Haare und Toilettenpapier hinunter. Als sie endgültig verschwunden waren, klappte sie den Deckel zu und setzte sich im Licht der nackten Glühbirne wieder darauf. Dabei berührte sie die Lichtkordel und sah zu, wie ihre alte Goldmedaille von den Commonwealth-Spielen am Ende der grauen zerfransten Schnur hin und her schwang.

Küche, 203 Barrington Street, Clayton, East Manchester
    Jack hörte die Toilettenspülung zum dritten Mal.
    »Alles in Ordnung da drinnen?«
    »Klar doch«, rief Kate zurück. »Ich mache nur das verflixte Klo sauber.«
    Jack lächelte. Typisch, meist nahmen Kate und er das Chaos und den Schmutz, die zum Elternsein gehörten, einfach hin, verloren aber gelegentlich die Geduld und statuierten ein Exempel an der Toilettenschüssel, dem Spülbecken oder dem Herd, als wollten sie eine Strafreinigung vollziehen und so die anderen unbelebten Gegenstände in ihrem Leben zur Räson bringen. Vielleicht sollten sie eine Putzfrau einstellen. Das würde ihnen beiden guttun. Und es würde Sophies Gesundheit nicht schaden, wenn jemand das Haus putzte, der mit dem Herzen dabei war und der nicht zum besten Tausendstel der Bevölkerung gehören musste, wenn es um die ventrikuläre Kapazität an der anaeroben Laktatschwelle ging.
    Jack pfiff eine fröhliche Melodie vor sich hin.
    Sophie schlurfte zurück in die Küche und plumpste abrupt auf den blau-weiß gefliesten Boden. Sie sackte in sich zusammen wie eine Dachrinne, die dem Regen nicht mehr standhält.
    »Hast du dir die Hände gewaschen, großes Mädchen?«
    Sophie sah achselzuckend zu Boden. Das passte nicht zu ihr.
    Jack setzte sich neben sie. »Alles in Ordnung?«
    »Ja.«
    »Sicher?«
    Sophie legte die Handflächen auf die Fliesen, spielte mit den Fingern, verschränkte sie.
    »Geht es dir nicht gut?«
    Sophie zögerte und schüttelte den Kopf.
    »Braves

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