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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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trainingsfreie Zeit war wie ein Vorgeschmack des Todes. Keine Action auf der Bahn, und die Sportpresse verlor vorübergehend völlig das Interesse. Der Schnitt war so abrupt gekommen, als hätte jemand den Schalter umgelegt. Den ganzen Sommer über kämpften die Medien um Fotos, Klatschgeschichten und Interviews. Dann plötzlich verstummten sie, und man geriet bis zum Frühjahr in eine solche Vergessenheit, dass niemand außer einem selbst wusste, dass man noch lebte. Freunde, mit denen man sich hätte treffen können, gab es kaum mehr. Manchmal traf man sich mit anderen Sportlern, doch das waren unbehagliche Zusammenkünfte, bei denen die Radfahrer herumstanden und Insiderwitze rissen. Es war wie auf Betriebsfesten, nur dass es möglichst proteinreiches Knabberzeug gab und niemand sich betrank oder irgendwelche Körperteile kopierte.
    Kate hatte Hummeln im Hintern. Nach zwei Wochen an einem stürmischen Nachmittag gab sie auf, zog Regenkleidung an und holte ihr Trainingsrad heraus. Sie fuhr in die Hügel des Peak District, und mit jedem Tritt in die Pedale ging es ihr besser. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht, und sie machte den Mund auf und genoss den unverfälschten Geschmack. Sie fuhr durch Glossop und über den Snake Pass, bewältigte bei Gegenwind die lange, steile Steigung und freute sich an dem Brennen in ihren Beinen. Die nasse Straße wand sich zwischen den Büschen und niedrigen Kiefern des Moorlandes empor – hier kannte sie jede Kurve auswendig. Es war die einzige lange Steigung auf der Standardstrecke, die alle Fahrer einmal pro Woche beim Training absolvierten: aus Manchester hinaus Richtung Osten, eine Tour um den Peak und wieder nach Hause. Sie fügte sich in den Rhythmus des Hügels, stand auf, wenn die Straße anstieg, und setzte sich auf den Sattel, wenn es flacher wurde.
    Der Gipfelpunkt des Passes war aus zweihundert Metern Entfernung zu sehen. Von dort kam ihr eine Fahrerin entgegen. Auf dem Pass war es windig, und die andere Fahrerin wurde durchgerüttelt, als sie auf der nassen Straße viel zu schnell bergab schoss. Ihre gelbe Regenkleidung peitschte im Wind, sie trug keinen Helm und hatte die Augen halb zugekniffen.
    »Zoe!«, brüllte Kate, als sie an ihr vorbeifuhr.
    Sie blieb keuchend stehen und sah zu, wie Zoe fünfzig Meter weiter unten schlitternd anhielt, ihr Rad wendete und lächelnd herauffuhr.
    Fast bedauerte Kate, dass sie sie gerufen hatte. Vielleicht war es dumm, freundlich zu sein. Es war nicht so, als hätte sie Zoe verziehen, doch das Adrenalin machte sie kühn, und vielleicht war sie nach zwei Wochen Isolation auch froh, überhaupt jemanden zu sehen.
    Also erwiderte sie Zoes Lächeln.
    Diese schrie über den Lärm des Windes: »Was machst du denn hier oben?«
    Kate war noch immer außer Atem. »Zwei Wochen Rumsitzen. Bin durchgedreht. Und du?«
    Zoe lachte. »Ich komme jeden Tag her. Aber sag Tom nichts davon. Ich bin ein Atom-U-Boot. Wenn man die Turbinen anhält, gibt’s eine Kernschmelze und ich reiße die Zivilisation ins Verderben.«
    Kate musste wieder lächeln. »Fährst du nach Hause?«
    Zoe nickte. »Außer du hättest gern Gesellschaft.«
    Kate wischte sich den Regen aus dem Gesicht, warf einen Blick auf den Tacho am Lenker. »Ich fahre noch siebzig, achtzig Kilometer.«
    Zoe sah nach oben, als wollte sie diese Information mit der Windstärke und den schweren Regenwolken abgleichen.
    »Einen schönen heißen Kaffee für unterwegs?«
    Kate zögerte und lachte dann. »Na ja, meinetwegen.«
    Sie fuhren zusammen nach oben und die sechs Kilometer bergab bis zum Snake Pass Inn. Sie stellten die Räder ab und setzen sich drinnen an den Kamin. Zuerst redeten sie nicht miteinander, sondern stellten die Schuhe zum Trocknen auf, zogen die Regensachen aus und wärmten sich vor dem Feuer auf.
    Zoe hielt ihre Kaffeetasse mit beiden Händen und musterte Kate über den Rand hinweg an.
    »Was ist?«
    »Es tut mir leid«, sagte Zoe. »Das mit den Anrufen.«
    Kate sah sie scharf an. »Wird das zur Gewohnheit?«
    Zoe senkte den Blick. »Nein, es ist vorbei. Ich bin drüber weg.«
    »Na schön.« Sie zog die Handschuhe aus und hängte sie über das Kamingitter aus Messing. Sie zischten, als das Wasser verdampfte.
    »Bist du sicher? Vergeben und vergessen?«
    Kate lächelte und spürte, wie ihr eine Last von den Schultern genommen wurde. »Ja.«
    Zoe hob die Kaffeetasse. »Sollen wir darauf trinken?«
    Kate lächelte, als sie Zoes zerzauste Haare und ihren hoffnungsvollen

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