Gold
Rennen als dieses hier würde man kaum erleben. Sie fuhren gegeneinander, seit sie neunzehn waren, und kannten den Stil der anderen bis ins Detail. Jede Fahrerin konnte genau vorausahnen, was die andere tun würde, keine war im Vorteil. Kate und Zoe wurden wieder langsamer, rückten zusammen, lehnten sich mit den Schultern aneinander. Sie schienen reglos zu verharren, keine wollte riskieren, der anderen auch nur den kleinsten Haltungsvorteil zu gewähren, indem sie ihr den Kopf zuwandte. Stattdessen betrachteten sie die Umrisse ihrer Schatten auf den Ahornbrettern der Bahn. Sie hielten sich in der Balance und horchten auf jede verdächtige Beschleunigung im Atem der anderen.
So wie sie sich in diesem Augenblick gegenseitig stützten, glichen sie weder Rivalinnen noch Teamkameradinnen, sondern einem Liebespaar.
»Sie haben aufgehört«, sagte Sophie.
Jack drückte ihren Arm. »Nein, sie fangen gerade erst an.«
Und dann ging alles unglaublich schnell. Ohne irgendeine Vorwarnung brach Kate aus. Zoe reagierte, ging sofort auf maximale Kraft. Nun entschied jede Fahrerin in Sekundenbruchteilen, nahm den Kurs instinktiv auf und reagierte unmittelbar auf das, was die andere tat. Jede Bewegung war unwiderruflich. Binnen Sekunden gellte die Luft, die sie durchschnitten. In der zweiten Runde schloss Zoe auf und hängte sich in Kates Windschatten. Die beiden Fahrerinnen verausgabten sich völlig, explosiv, an der Grenze menschlicher Kraft. In der dritten und letzten Runde zog Zoe auf der letzten Geraden mit Kate gleich, ihr Schädel unter der Haut war zu erkennen, als sie den Mund weit aufriss, um Luft zu holen. Die beiden Fahrerinnen warfen die Räder nach vorn, überquerten mit berstenden Lungen die Ziellinie und schauten einander an, um zu sehen, wer vorn gelegen hatte. So endete es immer, ob nun vor drei oder drei Milliarden Zuschauern. Kate und Zoe sahen nicht die Ziellinie oder die Fahnen der Schiedsrichter oder die Transparente der Zuschauer, sondern nur einander.
Das Surren der Räder hallte durch den Raum.
»Wer hat gewonnen?«, wollte Sophie wissen.
Jack sah fragend zu Tom hinüber.
Tom schüttelte den Kopf. »Unentschieden. Zu knapp.«
Umkleide, Nationales Radsportzentrum, Stuart Street, Manchester
Nach dem Training war Kate angenehm müde. Ein Sprint war immer wie eine Schlacht, aber sie hatte sich behauptet. Sie hatte mindestens so viel Kraft wie Zoe eingesetzt und sich nicht auf Psychospielchen eingelassen. Und die Sache am Anfang, mit Sophie im Fahrradkorb – das hatte Spaß gemacht. Anders als früher war Zoe keine Bedrohung mehr.
Sie ging unter die Dusche, bevor ihre Muskeln kalt wurden, zog sich in aller Ruhe an und setzte sich vor den Spiegel, um sich zu frisieren.
Zoe war schon umgezogen. Sie nahm Kate den Kamm aus der Hand und machte sich daran, das Durcheinander zu entwirren. Kate ließ sie gewähren, zuckte aber zusammen, wenn Zoe brutal gegen die Knoten vorging.
»Dein Haar ist im Eimer«, sagte Zoe.
Kate gähnte. » Das lässt sich beheben.«
Zoe bemerkte den Unterton. »Und mein Leben nicht?«
»Ich will damit nur sagen, dass du dich vielleicht eine Weile ein bisschen zurückhalten solltest.«
»Geht nicht.«
»Weil …?«
»Weil die Zeitungen um neun in Druck gehen. Ich habe nur noch drei oder vier Stunden Zeit, um mir etwas zu überlegen. Meine Agentin sagt, ich muss ihnen heute noch ein Foto liefern. Etwas Familienfreundliches.«
»Was hast du vor? Willst du mit einem Teletubby schlafen?«
Zoe lachte. Sie wahrten einen leichten Ton. Wenn Kate sich mit Zoe unterhielt, kam es ihr oft so vor, als bewegte sie sich auf dünnem Eis und klammerte sich zugleich an Heliumballons, die ihr Gewicht beinahe ausglichen. Behutsam senkte sie sich auf die Oberfläche hinab. Genau diese Leichtigkeit hatten sie jetzt erreicht. Es war nicht weiter ungewöhnlich. So war das unter Freunden. Man glaubte einfach daran, dass man weitere Ballons ergreifen konnte, wenn die Last schwerer wurde. Man machte weiter, natürlich machte man weiter.
»Was hast du vor?«
»Ich lasse mir die olympischen Ringe tätowieren. Hierhin. Mit Fototermin.«
Zoe deutete mit dem Kamm auf die Stelle an ihrem Unterarm und beschäftigte sich dann wieder mit Kates Haaren.
»Heute Nachmittag?«
»Wieso nicht? Es gibt einen Laden gleich um die Ecke. Willst du mitkommen und dir auch eins machen lassen?«
»Zoe, spinnst du? Ich bin ich.«
»Sei du mit einem Tattoo.«
»Toller Werbespruch.«
»Den brauchen die nicht. Die
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