Gold
sie in seinen Augen, dass er genauso empfand.
»Es tut mir leid«, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Schon gut. Ich gehe.«
Er hielt sie fest. »Das musst du nicht. Bleib einfach und schlaf weiter, okay?«
Sie machten sich etwas vor, lagen Rücken an Rücken und starrten an die Wand, bis blassgraues Licht durch die Jalousien sickerte.
Zoe ließ Jack weiterschlafen, sammelte leise ihre Sachen ein und schlich auf Zehenspitzen davon, um sich und ihm ein Gefühl der Würde zu lassen, so als hätte einer von ihnen federleichte und kluge Abschiedsworte gefunden, wenn er nur nicht geschlafen hätte, Worte, die alles wiedergutgemacht hätten. Es war wichtig, der Vorstellung Raum zu lassen, dass es solche Worte gab, die man nur von den tief hängenden Ästen der Dämmerung pflücken musste.
Sie ging vom Hotel an den Strand, ließ ihre Kleider in den Dünen liegen und lief in den Atlantik, als die nackte Sonne über den Wellen aufging. Drei Pelikane flogen in enger Formation tief über das Wasser; nur Silhouetten vor dem Licht, glitten sie lautlos dahin. Der Horizont war eine feine gerade Linie. Als ihre Zehen kaum noch den Boden berührten, schaute sie aufs Meer hinaus und wusch die Nacht von sich. Das Wasser war weich, die Brise sanft. Dann gab sie den letzten Kontakt zum Boden auf und kraulte locker ins Meer hinaus.
Dort, wo der Meeresboden steil in ein tiefblaues Indigo abfiel, umfing sie eine bodenlose Kälte. Ihre Brust wurde eng, sie keuchte. Der frische Wind hier draußen blies ihr die Wellenkämme als klare salzige Blätter ins Gesicht. Sie musste sich abwenden und auf dem Rücken treiben, um wieder Luft zu bekommen. Zum ersten Mal schaute sie zum Strand zurück, hob und senkte sich mit den Wellen. In den Tälern war sie ganz allein inmitten der schimmernden Wasserfalten, und oben auf den Kämmen konnte sie sehen, dass der Strand viel weiter entfernt war, als sie gedacht hatte. Das Hotel und Jack und das Training und die Rennen – all das war nur noch ein flacher Betonblock, der die fernen Dünen krönte. Hier draußen gab es nur sie.
Ihr Bein berührte etwas Großes, Schweres. Sie trat panisch dagegen, kampfbereit. Es war ein Stück von einem hölzernen Boot. Es trieb neben ihr, das Wasser und vermutlich auch sein Alter hatten es schwarz gefärbt, die Unterseite war mit weißen Seepocken überzogen. Als sie sich mit einem kräftigen Zug davon entfernte, folgte es ihr träge, angezogen von dem Strudel, den ihr eigener Körper erzeugte. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Sie trieb auf dem Rücken dahin, die Gliedmaßen strahlenförmig ausgestreckt, und schaute hinauf zur blaugrauen Kuppel der Dämmerung. Dann, als ihr kalter weißer Körper im Ozean schwebte und bei der Erinnerung an Jack zu kribbeln begann, wurde sie von dem Schrecken gepackt, allein zu sein. Das Gefühl war unermesslich und kalt und wild wie die See.
Im Tattoostudio ließ Kate ihr Handy auf den Boden fallen, wo es auseinanderbrach. Die Batterie rollte in eine Richtung, das zerbrochene Plastikgehäuse schlitterte in die andere. Das Geräusch durchdrang Zoes Gedanken, und sie blickte hoch. Kate starrte sie an.
»Was ist los?«, fragte Zoe.
Kates Hände zitterten. »Tom ist hierher unterwegs. Er hat Neuigkeiten.«
Silbergrauer Renault Scénic
Mum hatte ein weißes Pflaster auf dem rechten Schulterblatt. Sophie konnte eine Ecke davon sehen, die aus ihrem gelben T-Shirt hervorlugte. Sie beobachtete sie vom Rücksitz aus, während Dad sie nach Hause fuhr.
»Mum, was hast du da am Rücken?«
»Gar nichts, Sophie.«
»Bist du gestürzt?«
»Es ist nichts , verstanden?«, sagte Dad.
Er sprach, als wollte er sich in sich selbst verkriechen wie eine Seeanemone, die man mit dem Finger berührt. Sophies Mund klappte zu.
Mum und Dad redeten leise wie Erwachsene, die nicht wollen, dass Kinder sie hören. Erwachsene dachten, man hätte schlechtere Ohren, dabei konnte man viel besser hören als sie. Die Reihenfolge ging so: Am besten hörten die Jedi, dann kamen Fledermäuse, Eulen, Füchse, Hunde, Mäuse, Erwachsene.
»Was hast du dir denn nur dabei gedacht?«, fragte Dad.
»Sei kein Arsch. Als wäre es nicht schlimm genug.«
»Ich meine ja nur … was ist in deinem Kopf vorgegangen?«
»Ich weiß es nicht, okay? Muss ich denn immer alles wissen?«
»Wie bitte? Ist das dein Ernst? Wenn es um die Haut an deinem Körper geht, wäre es ja wohl vernünftig, sich vorher sicher zu sein.«
»Es ist meine Haut«, sagte Mum traurig.
Sophies
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