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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Magen verkrampfte sich. Es war Krebs. Das musste es sein. Sie hatte Hautkrebs am Rücken. Darum auch das Pflaster. Sophie wusste alles über Krebs, und Mum hatte ihn jetzt an der Haut und war operiert worden. Darum war sie nach dem Training verschwunden, weil Erwachsene immer geheimnisvoll taten, wenn es um Krebs und so was ging. Die Reihenfolge ging so: Am besten konnten die Jedi Geheimnisse bewahren, dann kamen Füchse, dann Erwachsene. Mum hatte sich operieren lassen, und es war schiefgelaufen, und jetzt war alles schlimm.
    Dad sagte: »Aber ausgerechnet die Ringe … findest du nicht, ihr hättet warten können, bis ihr sicher dabei seid?«
    »Wir waren uns doch sicher. Wir sind Nummer eins und zwei. Dann kommt erst mal lange keiner. Und jetzt das. Als wenn es noch nicht schlimm genug wäre, habe ich nun dieses verdammte … Ding an der Schulter.«
    Sophie schaute in den Rückspiegel und sah, wie die Hände ihrer Mutter den Gurt umklammerten. Dad schaute zu ihr hinüber und legte die Hand auf ihr Knie. Sie sah ihn an, und der Kummer in ihrem Gesicht wurde ein bisschen weniger. Sofort ging es auch Sophie besser. Es war, als wäre Mums Knie die Okay-Taste, und Dad hätte sie gerade gedrückt.
    »Ich weiß«, sagte Dad. »Es tut mir leid.«
    »Mum?«, fragte Sophie.
    Ihre Stimme war so leise, dass Mum sie nicht hörte. Sie versuchte es noch einmal, füllte ihre Lungen mit einem zischenden Keuchen und zwang den Laut durch ihre enge Kehle.
    »Mum?«
    Mum drehte sich zu ihr um und streckte die Hand zwischen den Sitzen aus, um sie zu berühren.
    »Alles wird gut. Es ist nicht so schlimm, wie du denkst«, sagte Sophie.
    »Da hast du sicher recht, Liebes.«
    »Manchmal geht es einem wirklich schlecht, aber wenn die Chemo vorbei ist, geht es dir besser. Ehrlich.«
    Sie sah ihre Mum entschlossen an und nickte, damit sie auch merkte, wie ernst es ihr war. Mum sah verwirrt aus.
    »Wie bitte?«
    »Das Ding auf deinem Rücken. Der Krebs.«
    Mum sah sie lange an und hatte einen seltsamen Ausdruck in den Augen, den Sophie nicht verstand. Sie schluckte. Sie hätte das Wort Krebs nicht aussprechen sollen. Sie selbst war daran gewöhnt, aber bei den Neuen dauerte es eine Weile. Im Krankenhaus konnten viele das Wort nicht aussprechen, vor allem die Erwachsenen. Die Frauen sagten Ich habe einen Tumor , was sich klein genug anhörte, um es zu erwischen, aber nicht so klein, dass es einem durch die Finger glitt. Die Männer benutzten gern medizinische Abkürzungen wie PK für Prostatakarzinom.
    »Schon gut, Mum«, sagte sie. »Dr. Hewitt sagt, es macht dich stärker, wenn du den richtigen Namen benutzt.«
    Mum hatte Tränen in den Augen. »Oh, Liebes, es tut mir so leid. Ich habe keinen Krebs. Es ist nur eine dumme Tätowierung.«
    Dad hielt am Straßenrand, und beide stiegen aus und setzten sich zu ihr nach hinten. Sie machten den Gurt los und umarmten sie ganz fest, und dann saßen sie zu dritt da, während die Dämmerung dichter wurde und die Scheinwerfer des Feierabendverkehrs durch den Regen blitzten.
    »Was auch geschieht, es gibt nichts Wichtigeres, als dass wir stolz auf dich sind«, sagte Dad.
    »Wieso? Ich habe doch gar nichts getan.«
    Aus irgendeinem Grund mussten Mum und Dad darüber lachen. Warum waren sie stolz, obwohl sie alles total falsch verstanden hatte? Eine Tätowierung hatte ja nun wirklich nichts mit Hautkrebs zu tun. Also ehrlich.
    Sophie seufzte entnervt. Wenn sie erst die Leukämie überlebt hatte, würde sie auch diese Eltern überleben.

Beetham Tower, 301 Deansgate, Manchester
    Zoe schloss die Wohnungstür auf, warf den Schlüssel in die Zinnschale und stellte ihre blaue Einkaufstasche auf die Küchen-Arbeitsplatte aus emailliertem Lavastein. Sie holte eine Weißweinflasche mit Schraubverschluss aus der Tasche und betrachtete sie. Seit der verregneten Trainingsfahrt mit Kate hatte sie keinen Alkohol mehr getrunken, und das war über zehn Jahre her und mitten in der Trainingspause gewesen. Sie besaß nicht einmal Weingläser. Wusste gar nicht mehr, wie viel sie vertrug.
    Sie entschied sich für eine weiße Espressotasse aus schwerer Keramik und füllte sie. Dann trat sie mit Flasche und Tasse an die Fensterfront und schaute auf die Lichter der Stadt hinunter. Sie roch an dem Wein, verzog das Gesicht und trank ihn aus. Dann blieb sie zehn Minuten stehen und wartete auf die Wirkung. In einem Körper, der darauf eingestellt war, seinen Herzschlag aufs Genaueste zu kennen und Informationen mit arktischer

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