Gold
Klarheit durch überempfind-liche Nervenbündel zu senden, gab es kein warmes Glühen, sondern nur sofortige Erschütterung und Erschrecken angesichts der Kraft dieser chemischen Vorgänge. Sie schenkte sich nach und trank noch eine Tasse.
Als die Flasche halb leer war, hatte sie genügend Mut gefasst, um über die Regeländerung nachzudenken. Wenn sie an der Olympiade teilnehmen wollte, musste sie gegen Kate darum kämpfen. Sie drehte und wendete den Gedanken. Sie wollte die Teilnahme unbedingt. Ohne sie würde sie ihre Sponsoren und die Wohnung und den Grund dafür verlieren, Herz und Lunge funktionstüchtig zu halten. Doch um sicher zu sein, dass sie bei der Olympiade starten konnte, müsste sie ihren Körper härter antreiben als je zuvor. Heute beim Training waren sie und Kate exakt auf einer Höhe gewesen.
Sie trank noch einen Schluck und kühlte mit der Tasse das schmerzhafte Olympia-Tattoo an ihrem Unterarm. Wenn sie die Ringe betrachtete, hörte sie die tosende Menge in Athen und Peking. Sie forschte in ihrem Herzen, ob sie fähig wäre, Kate zu vernichten, nur um diesen Lärm noch einmal zu hören. Sie schloss die Augen, lehnte die Stirn gegen die kühle Scheibe und dachte nach.
In den Monaten nach Gran Canaria – Frühjahr und Frühsommer 2003 – fuhr sie nur wenige Rennen und konzentrierte sich ganz auf die Bahnrad-WM in Stuttgart. Beim Training fuhr sie eine Rekordzeit nach der anderen. Sie überließ es Jack und Kate, ihre Beziehung zu reparieren, und setzte Schmerz und Verwirrung in Energie auf dem Rennrad um.
Sie flog frühzeitig nach Stuttgart. Der Radsportverband brachte sie in dem Hotel unter, in dem das ganze Team wohnen sollte. Es lag in der Nähe der Radhalle, und sie trainierte schon einen ganzen Monat vor der WM auf der Bahn, auf der die Wettkämpfe stattfinden würden. Sie hatte mit einem Virus zu kämpfen, das sie eine Menge Energie kostete, doch ihr Start hatte nie auf dem Spiel gestanden. Jedes Atom ihres Körpers konzentrierte sich auf das Rennen. Sie bemerkte kaum, dass sie in Deutschland war. Die Sprache war anders, doch die Bahn sah genauso aus wie zu Hause.
Jack und Kate kamen eine Woche vor der Weltmeisterschaft nach Stuttgart. Sie waren wieder zusammen und glücklich, aber ihre Beziehung war noch nicht so gefestigt, dass sie sich in Zoes Gegenwart zwanglos bewegen konnten. Zoe lächelte ihnen höflich zu, wenn sie sich bei den Teamsitzungen oder am Frühstücksbuffet trafen.
Die WM 2003 war die größte, bei der sie je gewesen waren, sogar Teams aus Brasilien und China traten an. Alle Rennen wurden live auf Eurosport übertragen. Zoe war krank vor Nervosität und Aufregung. Mehr als einmal musste sie sich übergeben. Dennoch blieb sie äußerlich ruhig. Ihre Vorbereitung war tadellos gewesen. Die Presse schrieb schon, sie werde alles abräumen. Die Medien liebten sie. Für jeden war etwas dabei. Im Guardian veröffentlichte ein populärer Philosoph einen Artikel über ihr Arbeitsethos. Die News of the World brachten Fotos ihrer in Lycra gehüllten Brüste und spekulierten, ob sie darunter noch irgendetwas anhatte.
Die Weltmeisterschaft begann mit einem Blitzlichtgewitter. In Stuttgart gewann Jack am letzten Tag des Juli und den beiden ersten Augusttagen mehr Goldmedaillen, als ein britischer Radrennfahrer jemals bei einer Weltmeisterschaft gewonnen hatte. Kate schaffte zweimal Gold und einmal Bronze. Zoe qualifizierte sich in drei Disziplinen nicht einmal fürs Finale. Das Rennen um die Bronzemedaille im Sprint verlor sie gegen Kate und fühlte sich bei allen Vorläufen schrecklich. Einmal erbrach sie sich an der Startlinie. Das Signal musste verschoben werden. Jemand säuberte die Bahn, und Zoe stellte sich erneut zum Start auf. Als die Pfeife ertönte, durchflutete eine heiße Schwäche ihren Körper. Die anderen Mädchen rasten davon, und es kam ihr vor, als träte sie selbst überhaupt nicht in die Pedale. Ein Videoclip zeigte sie neben der Bahn, wie sie verständnislos und unter Tränen auf ihr 9000 Pfund teures hochmodernes Rad aus Karbonfaser eintrat. Den Film kannte bald das ganze Internet.
Tom bestellte ein Taxi und brachte sie ins nächste Krankenhaus. Sie blieben zwei Stunden lang dort. Sie wurde untersucht und wartete in einem winzigen weißen Zimmer mit deutschen Modezeitschriften und einer klappernden Klimaanlage. Sie wurde weiter untersucht und wartete wieder. Dann kam ein Arzt herein und teilte ihr lächelnd mit, sie sei schwanger.
»Ende dritter Monat«,
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