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GOLDAUGEN (German Edition)

GOLDAUGEN (German Edition)

Titel: GOLDAUGEN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Graser
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Freund, nein, er war auch einer meiner geistigen fünf Väter, die ich eigentlich hatte. Ein großes Geschenk, das mir zuteilwurde. Nach dem Tod meines leiblichen Vaters, ich war noch jung und verbittert, kam ich nach London und lernte Irvine kennen. In seiner unnachahmlichen Art hat er mich gefangen.
    Seine ersten Worte waren:
    Franck, es tut mir leid!
    Nicht , dass dein Vater verstarb, das ist tragisch, gehört aber zum Leben dazu. Ich leide auch, denn er war ein guter Freund und fehlt natürlich, seine Lücke ist groß. Nein, viel mehr tut es mir leid, dass du heute erst anfangen möchtest, zu denken und zu lernen.
     
    Nachdem wir uns den ersten Tag nur angeschwiegen haben, rief ich ihm am nächsten Morgen beim Frühstück die unschönen Worte zu:
    „Ich kann dich auch nicht leiden, was soll ich hier überhaupt?“
     
    Sir Irvine, einen ganzen Tag und keinen Dialog? Können Sie sich das vorstellen?«
    Fast alle schüttel ten lächelnd den Kopf.
    » Dann nahm er mich mit in seinen wunderbaren von Blumen gesäumten Garten. Seltsamerweise machte es mir nichts aus, dass er meinen Rollstuhl schob.
    Es ist mir bei den meisten Menschen ein Gr äuel, wenn sie ihn nur berühren. Irvine hatte sich extra für mich eine Woche frei gehalten, alle Gerichts- und sonstigen Termine abgesagt oder verschoben. Jeder, der ihn kannte, weiß, welche Bedeutung und Wertschätzung dieses Zeitgeschenk hatte.«
    Alle in der Kirche mussten wieder schmunz eln, weil sie wussten, für wie kostbar Irvine Zeit ansah. Zeitdiebe in Form von einfältigen Menschen machten ihn krank.
    »Irvine forderte mich heraus:
    „ Franck, du musst anfangen, Fragen zu stellen, ansonsten kann ich dir nicht helfen, dann ist es wirklich besser, wenn du wieder weiterreist. Siehst du diese Gartenfiguren?“
    Natürlich sah ich diese alten Opas , ich war ja nicht blind.
    „Wenn dein Vater mich besuchte, saßen wir manchmal stundenlang, oft bis spät in die Nacht , hier auf dieser Gartenbank, wo ich jetzt sitze. Wir haben über Bedeutendes philosophiert . Diese Männer sind dafür mitverantwortlich, dass es heute recht geordnet auf unseren Planeten zugeht.
    Präge dir diese Namen ein:
    Sokrates, Platon, Aristoteles.“
    Ich fragte ihn, was das Wort „ philosophiert“ bedeutet. Er lächelte, nahm mich in den Arm und antwortete:
    „Just in diesen Moment philosophierst du schon, das ist ein vernünftiger Anfang , dein Leben neu zu ordnen!“
     
    Er sollte natürlich recht behalten. Ich lernte in den nächsten sechs Monaten mehr, als in den sechs Schuljahren zuvor.
    Irvin e verbrachte so viel Zeit wie möglich mit mir, wenn er nicht da sein konnte, hat seine Köchin mich leiblich verwöhnt und seine Bibliothek meinen Geist. Die von mir lapidar betitelten Opas im Garten so wie Thomas von Aquin bis zu Emanuel Kant begleiteten mich, ich träumte schon von ihren Thesen. Ich sog alles wie ein Schwamm auf. Es waren unbeschreibliche Monate, das können sie mir glauben.
    Erst viel später habe ich verstanden, warum mir ein begnadeter Rechtswissenschaftler die Grundlagen allen Denkens und aller Wahrheiten vermitteln wollte.
    Kurz vor meiner Abreise wollte ich ihn unbedingt beeindrucken, ich habe einige Tage damit zugebracht, diesen Satz zu verfassen:
    „Der Tod ist nur ein dunkler Schatten, der sich am Ende des physischen Lebens über uns legt!“
    Es sprudelte nur so aus mir heraus:
    Ich weiß endlich, was du und letztlich auch mein Vater von mir erhoffst. Ich soll meine irdische Zeit intensiv nutzen, lernen, hinterfragen und verstehen. Es ist schlimm, einen geliebten Menschen zu verlieren, aber man behält ihn doch für immer im Herzen.
    Das eigene Leben muss im Sinne aller weitergehen. Jeder Einzelne hat seine Aufgabe auf dieser Welt und sollte sie mit Hingabe suchen und erfüllen. Ich sehe nun alles, was kommt, als wichtige und schöne Verpflichtung. Irvine, ich danke dir für alles. Die Liebe zur Weisheit wird mich nie mehr loslassen und für immer begleiten. Wir nahmen uns in den Arm und schwiegen, natürlich nur für einen kleinen Moment. Dann sagte er etwas zu mir, was mich sehr stolz machte:
    „Nein Franck, ich danke dir! Jede Sekunde mit dir war eine Bereicherung. Nun weiß ich, dass die Zukunft kommen kann.
    Schade ist nur, dass du kein Jurist werden willst!“
     
    Ich wünsche jedem Kind auf dieser Welt solch ein Glück, so einen Vater, Onkel oder Freund zu haben, wie Sir Irvine Burlington für mich all die Jahre einer war. Irvine, ich werde dich, wie viele

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