Goldbrokat
Erlebnisse dachte, mit denen sein Pate ihn und Ignaz müde zu bekommen suchte. Aber er war immer ihr großes Vorbild gewesen, denn er hatte nie mehr gefordert, als er von sich selbst verlangen konnte. Das allerdings war leider sehr viel gewesen.
Er hatte ihn vermisst, als er nach China ging, und er hatte ihn namenlos betrauert, als er gestorben war.
»Du hast deinen Vater geliebt und geachtet, George.«
Der Junge zuckte zusammen.
»Ja, Cousin Drago.«
»Ich auch.«
Und mehr als das, er hatte ihm vertraut. In was immer für wilde und gefährliche Unternehmungen er sie geführt hatte, Drago hatte ihm vertraut. Selbst in der Flammenhölle von Lyon hatte er noch darauf vertraut, dass er Ignaz retten würde. Es war nicht seine Schuld gewesen, dass das Feuer die Oberhand gewonnen hatte. Er hatte ihm auch weiterhin vertraut und wäre ihm auf den kleinsten Wink auch nach China gefolgt. Das hatte er dann auch getan, sogar noch nach Servatius’Tod.
Den Anweisungen seines leiblichen Vaters hingegen hatte er nur widerwillig Folge geleistet, selbst in kleinen Dingen. Der Unterschied zwischen den beiden Männern lag in ihrem Charakter. Servatius forderte Gehorsam, sein Vater verlangte Unterwerfung, Servatius bekämpfte Widerspruch, sein Vater duldete ihn nicht, Servatius sah seine Fehler ein, sein Vater machte keine.
Es war leichter, einem Mann zu gehorchen, der wusste, was getan werden musste, denn dann konnte man darauf vertrauen,
dass die Befehle einen Sinn hatten. Es war leichter, eine Opposition aufzugeben, wenn man in der Argumentation unterlag. Und es war wesentlich leichter, einen Mann zu lieben, der über seine Fehler lachen konnte, als einen, der rechthaberisch auf seiner Unfehlbarkeit bestand.
Darum war er seinem Paten ohne zu zögern in ein fremdes Land gefolgt.
Genau wie George ihm nach Deutschland gefolgt war.
Erstaunlich.
Der Junge musste etwas in ihm sehen, worüber er noch nie nachgedacht hatte.
»George Liu, vertraust du mir eigentlich?«
»Ja, Cousin Drago.«
»Warum?«
Mehrfach machte George den Mund auf und zu, bevor er eine Antwort aussprechen konnte. Er verfiel dazu prompt in seine Muttersprache.
»Ihr seid der tai pan .«
Drago nickte und verstand.
Und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass er im Gegenzug zu Georges Vertrauen auch eine Verantwortung übernommen hatte. Er musste ihr gerecht werden.
Ein Vater konnte das Vertrauen, den Respekt und die Liebe seiner Kinder auch nur verdienen, wenn er sich deren Gefühlen würdig erwies.
»Wir werden uns bei Gelegenheit mal über deine Zukunft unterhalten, George. Noch habe ich einige andere wichtige Angelegenheiten zu erledigen, aber du kannst dir schon einmal Gedanken darüber machen, was du gerne machen möchtest. Du bist intelligent und ehrgeizig, dir stehen viele Wege offen.«
»Sie wollen mich loswerden, Cousin Drago?«
»Nein, mein Junge. Das meinte ich nicht damit. Ich werde auch weiter für dich da sein.«
Es war ein kleiner Seufzer, der das »Danke« begleitete.
Im Hotel in Braunschweig fand Drago eine Antwort auf seinen Brief vor. Ein umfangreiches Schreiben setzte ihn davon in Kenntnis, dass sein Bekannter jetzt eine Kanzlei in Bremen leitete und daher die Nachricht erst auf einigen Umwegen zu ihm gelangt war. Immerhin hatte er schnellstmöglich geantwortet und konnte ihm mitteilen, das Ehepaar Werhahn habe bereits im Jahr 1852 das Gut nach einigen betrüblichen Vorkommnissen verkaufen müssen und sei nach Paris gezogen. Über den Verbleib der Tochter und ihrer Kinder konnte er nichts sagen, aber er hatte einen Zeitungsausschnitt beigefügt, in dem die künstlerischen Erfolge Leander Werhahns ausführlich beschrieben wurden. Der junge Mann habe sich, wie man dem Artikel entnehmen könne, einer Künstlerkolonie in der Nähe von Paris angeschlossen und könne sicher mit näheren Auskünften dienen.
»George, bist du bereit, jetzt auch noch Frankreich kennenzulernen?«
»Ja, Cousin Drago.«
Einführung in die gute und schlechte Gesellschaft
»Wie doch, betrügerischer Wicht,
verträgst du dich mit allen?«
»Ich leugne die Talente nicht,
auch wenn sie mir missfallen.«
Johann Wolfgang von Goethe, Zahme Xenien
Guillaume de Charnay wurde zu seinem eigenen Verdruss wieder zu Wilhelm Stubenvoll, als er durch die engen Gassen Kölns wanderte.Vor zwei Tagen war er mit der Eisenbahn am Bahnhof von Pantaleon eingetroffen und hatte sich ein Zimmer in einem der gepflegten Hotels am Rhein genommen. Da er aber beabsichtigte,
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