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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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… Gab’s alles nicht.Verflixt, woran konnte man das Seil festmachen?
    Er öffnete die Augen und erstarrte vor Entsetzen. Eine große, schwarze Gestalt ragte dräuend vor ihm auf. Ein Mönch, ganz bestimmt, in einer dunklen Kutte. Ganz genau, wie Ferdi ihn beschrieben hatte. Er stand im Licht des Mondes, und sein Haupthaar leuchtete silbern auf. Sein bärtiges Gesicht neigte sich zu ihm, und Philipp erwartete nicht mehr und nicht weniger als ein vernichtendes Donnerwetter. Aber dieses erschreckende Gefühl hielt nur den Bruchteil einer Sekunde an, dann schien es ihm, als ob reine Güte aus den dunklen Augen des Mannes leuchtete. Er wies auf ein Fass und dann auf das Fenster. Dann hob er seine Hand, zog ein segnendes Kreuz über ihn und Laura und verschwand.
    »’türlich!«, entfuhr es Philipp. Er sprang auf und versuchte das schwere Fass zu bewegen. Es ruckte kaum von der Stelle.

    »Was machst du da?«
    »Wir müssen das Fass zum Fenster bringen. Wenn wir einen dicken Knoten in das Seil machen und es draufstellen, könnte es halten.«
    »Ich wusste doch, dass du eine Lösung findest, Philipp.«
    »Mhm.«
    Aber die Bewunderung in Lauras Stimme erfüllte ihn mit Genugtuung.
    Gemeinsam bekamen sie das Fass vor das Fenster geschoben, befestigten das provisorische Seil daran und hängten es aus dem Fenster. Es reichte fast bis zum Boden.
    »Prima. Geh du zuerst, Laura. Ich halte hier oben das Seil fest. Wenn es danach reißt, läufst du zu Mama.«
    »Ja, Philipp.«
    Laura kletterte auf das Fass und setzte sich auf den Fenstersims.
    »Du musst mit den Füßen nach den Knoten tasten.«
    »Das ist aber schwierig.«
    »Dann zieh die Schuhe aus. Und dann drehst du dich um. Ich halte dich fest. Ganz fest, Laura.Versprochen.«
    Sie nestelte die Schnürsenkel auf und ließ die Schuhe fallen. Dann vertraute sie sich Philipps Händen an, drehte sich um und stieg aus dem Fenster.
    Das Seil ruckte an dem Fass, aber es hielt stand. Langsam kletterte Laura nach unten, während Philipp ihr nachsah. Das letzte Stückchen musste sie sich fallen lassen, aber dann stand sie wohlbehalten auf der Wiese.
    Er warf seine Schuhe zu ihr herunter und machte sich ebenfalls ans Klettern. Es ging fast ganz gut, doch als er fast das Ende des Seils erreicht hatte, löste sich die Befestigung oben, und er fiel mitsamt dem Stoff auf den Boden.
    »Mist, Maria!«, sagte Laura.
    »Autsch!«, entfuhr es Philipp, dann fragte er: »Was hast du eben gesagt?«
    »Ich? Nichts. Hast du dir wehgetan?«

    Er rappelte sich auf und betastete sein Hinterteil.
    »Wird blaue Flecken geben. Aber ist nicht so schlimm.«
    Laura half ihm die Schuhe anzuziehen, rollte den Stoff zusammen, und er machte sich ein bisschen humpelnd an der Seite seiner Schwester auf den Weg. Unabgesprochen und schweigend wanderten sie zu Mamas Wohnung.

Mütterliches Strafgericht
    War das ein Geisterlaut? so schwach und leicht
Wie kaum berührten Glases schwirrend Klingen
     
    Annette von Droste-Hülshoff, Durchwachte Nacht
    Irgendetwas hatte mich geweckt.War das der Wind, der an dem hölzernen Laden vor dem Fenster klapperte? Nein. Es war ein schöner, stiller Abend gewesen. Das kleine Nachtlämpchen vor dem Spiegel brannte ganz ruhig und ohne zu flackern. Aber da war wieder so ein Geräusch. Jetzt hörte es sich an wie Hagelkörner. Das war ungewöhnlich.
    Ich schob die Bettdecke beiseite, um den Laden zu inspizieren.
    Er war fest zu, aber gerade als ich den Riegel des Fensters öffnete, klapperte wieder etwas gegen das Holz.
    Da warf doch jemand mit Steinen!
    Frechheit!
    Ich riss den Fensterladen auf, um den nächtlichen Unruhegeist barsch zu verwarnen.
    »Mama!«, klang es von unten herauf.
    »Philipp? Laura?«
    »Ja, Mama. Dürfen wir reinkommen?«
    Großer Gott, was machten meine Kinder zu nächtlicher Stunde vor meiner Wohnung? Ich stürzte zur Haustür und ließ die beiden ein.
    »In die Küche mit euch«, scheuchte ich sie nach unten und folgte ihnen barfuß und nur im Nachthemd. Mit fliegenden Händen zündete ich die Öllampe an, und in deren Licht begutachtete ich meine Kinder sorgsam.

    »Wie seht ihr denn aus? Was ist passiert?«
    »Wir haben Mist gebaut, Mama.«
    »Das scheint mir auch so.«
    Die beiden sahen so schuldbewusst drein, mit hängenden Schultern, staubig, zerzaust und zerschrammt, Laura mit einem zerrissenen Kleid und einem schmutzigen Stoffbündel unter dem Arm. Ich wusste nicht recht, ob sie mir leidtun oder ob ich ihren Mut bewundern sollte, dass sie nach ihrem

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