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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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musste ich den Einfallsreichtum, mit der das Kostüm gestaltet war. Ich drapierte es malerisch auf Philipps Bettdecke. Dann bestellte ich Hannah zum Rapport.
    Sie war ausgesprochen kleinlaut.
    »Ja, vorletzte Woche hat Tante Caro nachts ein großes Theater gemacht. Ich habe aber nicht geglaubt, dass sie wirklich ein Gespenst gesehen hat. Gespenster gibt’s doch gar nicht, Ariane.«
    »Nein, Gespenster gibt es nicht. Und darum hättest du zumindest misstrauisch werden können.«
    »Ja, das hätte ich wohl.«
    »Du erinnerst dich sicher an vergangenen Sommer, als Benni im Haus meines Onkels umging!«
    »O weh, ja, natürlich. Entschuldigung, Ariane, daran hätte ich wirklich denken können.«
    Hannah wirkte richtig zerknirscht, und ich nutzte diese empfängliche Stimmung aus, um entsprechende Anordnungen zu erlassen.
    »Ich würde vorschlagen, dass ihr zukünftig auf die Lektüre von Schauermärchen verzichtet und erbaulichere Werke auswählt.«
    »Ja, Ariane.«
    »Und jetzt möchte ich dich bitten, bei der Rasselbande, die hier im Hof ihr Unwesen treibt, herauszufinden, wo man Ferdi, den Kaminfegerlehrling, zu fassen bekommt.«
    »Ja, Ariane.«

    »Und schick mir die Kinder hoch, wenn sie aus der Schule kommen.«
    Ich vertrieb mir die Zeit bis zum Mittag damit, die Kleider der beiden durchzusehen und fällige Flickarbeiten durchzuführen. Dabei nagte das schlechte Gewissen an mir. Ich kümmerte mich zu wenig um Laura und Philipp. Diese Streiche hätten sie nicht spielen können, wenn ich besser auf sie geachtet hätte. Sie waren inzwischen neun und elf Jahre alt und von einem unbändigen Tatendrang, den Hannah nicht zu zügeln wusste. Sie brauchten eine feste Hand, am besten natürlich eine männliche. Sehr intensiv dachte ich darüber nach, ob ich meine Eheschließung mit Gernot nicht etwas beschleunigen konnte. Das würde aber wohl heißen, dass ich ihm meine schändliche Scheidung gestand. Und ob er dann noch darauf erpicht sein würde, mich zu seiner Frau zu machen? Oder ich müsste noch mal in den verflixt sauren Apfel beißen und meinen ehemaligen Schwiegervater um Hilfe bitten. Wenn die Nachricht von Dragos Tod jemanden erreicht hatte, dann gewiss ihn. Oder ob ich es bei dem Anwalt in Braunschweig versuchen sollte, bei dem er damals tätig gewesen war? Wenn der bei dem alten Kusan nachfragte, würde er vermutlich eher Auskunft erhalten als ich. Ihm zu schreiben wäre das geringere Übel, beschloss ich. Hoffentlich hatte ich die Adresse noch.
    In diese Überlegungen hinein hörte ich das Schuhepoltern auf der Treppe, dann kamen Laura und Philipp in das Zimmer gestürmt.
    Beide blieben wie angewurzelt stehen und starrten auf das leblose Gespenst auf dem Bett.
    »Ich bin eine begabte Geisterjägerin, wie ihr seht. Ich vermute, die Idee stammt von dir, mein Sohn. Für die Ausführung hast du, meine Tochter, gesorgt.«
    Betroffen starrten die beiden auf den Boden, und Philipp drehte verlegen an einem Knopf an seiner Jacke.
    »Euren nächtlichen Ausflug habe ich noch eben durchgehen lassen. Das hier aber geht zu weit. Ihr seid zu Gast bei Tante
Caro. Sie hat euch seit Jahren Obdach gewährt, ihr habt zwei schöne Zimmer, dreimal am Tag gutes Essen, könnt auf gute Schulen gehen und genießt auch ansonsten recht viele Freiheiten. Ist das der Dank? Nachts umherzuschleichen und die arme Tante Caro so zu erschrecken, dass ihr fast das Herz stehen bleibt?«
    »Nein, Mama«, kam es ganz leise.
    »Was habt ihr euch bei dem Streich gedacht?«
    »Wir … wir wollten das doch gar nicht.«
    »Ach nein? Ihr wolltet in diesem weißen Flatterdings mit den großen, scheußlichen Augen überhaupt niemanden erschrecken?«
    »Doch, Mama. Aber wir wollten zu Hannah ins Zimmer. Gucken, ob sie wirklich keine Angst vor Gespenstern hat, wie sie immer tut.«
    »Ja, und dann ist Tante Caro plötzlich aus ihrem Schlafzimmer gekommen.«
    »Es war ein Unfall, Mama.«
    Warum erheiterte mich das so gnadenlos? Nur mit Mühe konnte ich die Rolle der zürnenden Mutter aufrechterhalten. Ich las ihnen also noch einmal kräftig die Leviten und verhängte dann das Strafmaß. Keine Gruselgeschichten mehr. Belehrendes aus dem Mädchenfreund, Anstandsregeln für junge Leute und täglich ein langes Gedicht von Herrn Schiller auswendig lernen, so würde sich das zukünftige literarische Unterhaltungsprogramm gestalten.
    Dann entließ ich die Delinquenten, damit sie ihr Mittagessen bekamen. Ich folgte ihnen kurz darauf in die Küche und bekam ebenfalls einen

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