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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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neben Drago auf dem steinigen Weg, der von Paris zum Wald von Fontainebleau führte. Die wärmende Septembersonne versteckte sich dann und wann hinter hohen Wolken, die ihre Schatten über das hügelige Land gleiten ließen. Hier und da kauten einige Ziegen gemächlich an hartem Gestrüpp, und manchmal scheuchten die Pferde ein Karnickel auf, das mit blinkendem Schwanz im schützenden Unterholz verschwand.
    Drago hatte einige Tage gebraucht, um die Adresse Leander Werhahns herauszufinden, und nun näherten sie sich der Künstlerkolonie von Barbizon. Als der Pfad eine weitere Biegung machte, erblickte er die kleine Ansiedlung. Ein Bauernhof – das Haus aus dem grauen Feldstein der Umgebung gebaut, die Einfriedung von Efeu überwachsen, ein hochrädriger Holzkarren davor – wirkte wie verlassen, doch das Bellen eines Hundes warnte sie davor, unbefugt das Areal zu betreten. Es
folgten weitere, vereinzelt liegende Häuser, und zwischen ihnen belebte Geschäftigkeit die Szenerie. Frauen hängten Wäsche auf, ein Gänsemädchen trieb seine Schützlinge zu einem Weiher, ein Esel stand, beladen mit allerlei Beuteln und einer Staffelei, geduldig wartend vor einem Zaun. Der zugehörige Künstler, ein Herr mit farbbekleckster Jacke, hutlos, doch das Gesicht hinter einem struppigen Bart verborgen, trat aus seinem Haus und blinzelte den Ankömmlingen entgegen.
    Drago nutzte die Gelegenheit, um sich nach Leander zu erkundigen. Besonders elegant klang sein Französisch wohl nicht, weshalb der Herr ihm fließend auf Englisch antwortete.
    »Ah, der junge Werhahn. Ende des Dorfes. Das Haus mit dem blauen Zaun. Können Sie gar nicht verfehlen. Aber ich weiß nicht, ob er daheim ist. Er hat in den letzten Wochen die ungesunde Angewohnheit entwickelt, bei Tag und Tau durch die Wälder zu ziehen, um das Morgenlicht einzufangen.«
    »Solange er nicht den Ort gänzlich verlassen hat, wird es sich wohl lohnen, auf ihn zu warten.«
    »Tun Sie das, und wenn es Ihnen langweilig wird, schauen Sie einfach bei Rousseau oder Daubigny vorbei. Und meine Werke können Sie heute gegen Abend besichtigen.«
    »Ich danke für die Einladung. Einen kreativen Tag wünsche ich Ihnen.«
    »Mhm – ja. Die Wolken könnten heute reizvoll sein. Mal sehen. Sehen, Monsieur, ist nämlich wichtig. Mit unverbildeten Augen sehen. Guten Tag, Messieurs.«
    Er gab seinem Esel einen Klaps auf die Kehrseite, den der mit einem unwirschen Laut quittierte, sich dann aber am Zügel widerstrebend die Straße hinunterführen ließ.
    »Also, George, dann nutzen wir mal unsere Augen zum Sehen.«
    »Ja, Cousin Drago. Aber – tun wir das nicht immer?«
    »Doch. Nur scheint das Sehen für diese Künstler hier eine weitere Funktion zu haben. Wir belassen es dabei, Ausschau nach einem blauen Zaun zu halten.«

    Der war bald gefunden, und wie es den Anschein hatte, war der Bewohner des Hauses bereits von seinem morgendlichen Malausflug zurückgekehrt. Ein Paar lehmiger Stiefel stand vor der Tür, eine Rauchfahne schwebte über dem Schornstein, und ein Geruchsgemisch von frisch gemahlenem Kaffee, Terpentin und Ölfarben drang durch die weit offen stehende Tür.
    Sie stiegen ab und befestigten die Zügel an den Zaunpfosten.
    Drago ging die wenigen Schritte zwischen den Asternbeeten zum Eingang, klopfte an die Zarge und rief: »Leander Werhahn? Jemand zu Hause?«
    »Bin zu Hause. Treten Sie ein, kaufen Sie meine Bilder oder trinken Sie einen Kaffee mit mir«, tönte es von drinnen.
    George blieb höflich hinter ihm, als er in das Halbdunkel des Flurs trat und dann durch eine weitere Tür in ein luftiges Atelier, durch dessen Fenstertüren das Licht eine geradezu chaotische Ansammlung von gerahmten und ungerahmten Bildern, leeren Leinwänden, Skizzen, zwei Staffeleien, eine Unmenge an Farbtuben, eine bunte Palette und zahlreiche Pinsel beleuchtete, deren Borsten aussahen, als habe der Künstler damit den Boden geschrubbt.
    Der Hausherr trat durch eine zweite Tür, die wohl in die Küche führte, und blieb abrupt stehen.
    »Du?«
    »Ja, ich.«
    »Drago Kusan. Sieh an!«
    Und dann stürzte er sich auf ihn.
    Drago wich aus und packte seine Arme. Doch einem bösen Tritt gegen das Schienbein konnte er nicht entgehen.
    »Hör auf, oder ich muss dir wehtun!«, mahnte er leise.
    »Du mieses Schwein! Du verdammter Herumtreiber! Du …«
    »Alles wahr, alles richtig, aber nun gib Ruhe, Leander!«
    Der aber schäumte derart vor Wut, dass er kaum zu bändigen war. Drago ließ ihn toben, so weit es

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