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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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gäbe. Wenn sie also so schöne Kleider tragen wolle wie bisher, müsse sie Seidenraupen und Maulbeersamen mitbringen. Das junge Mädchen war betroffen; es ließ sich heimlich beides bringen und verbarg es in seinem Kopfputz. An der Grenze kontrollierte sie der Wachposten streng, aber die Kopfbedeckung der Prinzessin wagte er nicht zu untersuchen. So gelangte die Seide ins Königreich Kothan.«
    »Ihh, die hat sich Raupen in die Haare gesetzt?«
    »Ich könnte mir vorstellen, dass sie nur die Eier der Raupen mitgenommen hatte. Die chinesischen Raupenmütter tragen auch heute noch diese Eier in Leinenbeuteln am Körper, damit sie es gleichmäßig warm haben, bis sie schlüpfen.«
    Laura fand das ein bisschen ekelig, aber Herr Long schien das nicht so zu sehen. Darum sagte sie nichts dazu. Außerdem kamen sie nun wieder in Sichtweite von Hannah, die heute nicht mit Ruth, sondern mit einem jungen Herrn plauderte. Sehr angeregt sogar, sodass sie sie gar nicht vermisst hatte.
    Trotzdem verabschiedeten sie sich höflich von Herrn Long, damit sie Hannah nicht doch noch würden Fragen beantworten müssen.
     
    »Ob wir ihn wohl wiedertreffen?« Philipp war ganz offensichtlich genau so beeindruckt von dem Herrn wie sie selbst. Aber am nächsten Tag würden sie Mama besuchen und nicht in den Park gehen.
    »Hoffentlich. Er hat ja gesagt, er würde die nächsten Tage im Park sein.«
    »Mhm.«
    »Aber vielleicht bleibt er gar nicht hier, sondern kehrt nach China zurück.«
    »Wir hätten ihn fragen sollen.«
    »Mhm.«
    »Er ist netter als Herr Wever.«

    »Mhm.«
    »Und er hat so einen Zahn wie du, Philipp.«
    »Mhm.«
    »Und ein bisschen wie der Mann auf Mamas Hochzeitsbild sieht er auch aus.«
    »Mhm.«
    »Nur, dass er keinen Bart hat.«
    »Den kann man ja abrasieren.«
    »Mhm.«
    Lange versanken Laura und Philipp in tiefste Gedanken. Und die Wege, die diese Gedanken nahmen, waren verschlungen und verwickelt wie verknäuelte Seidenfäden. Und wie die glatten Seidenfäden glitten sie auch wieder auseinander und lagen mit einem Mal säuberlich zu einem festen Strang gedreht vor ihnen. Dann sprang Laura auf, lief in ihr Zimmer und fischte aus ihrer kleinen Schatztruhe das goldene Medaillon heraus, das Mama ihr zum neunten Geburtstag im August geschenkt hatte. Damit eilte sie zu Philipp zurück und drückte mit ihrem Daumennagel auf die Verriegelung. Das Medaillon sprang auf, und sie betrachteten noch einmal gründlich den schwarzen Scherenschnitt des Männerkopfs darin.
    »Mama hat früher einmal gesagt, unser Papa sei verreist. Zum Himmlischen Kaiser«, sinnierte Laura dann laut.
    »Mhm. Hat sie gesagt.«
    »Und wir haben gedacht, sie meint damit den lieben Gott.«
    »Mhm. Haben wir gedacht.«
    »Vielleicht meinte sie das gar nicht.«
    »Aber Papa ist tot. Das hat doch der Leutnant gesagt.«
    »Mhm.«
    Lauschen lohnte sich eben doch manchmal. Aber jetzt wurde es schwierig. Es blieb nur eine Lösung, wenn man hoffen wollte.
    »Vielleicht hat der Leutnant sich geirrt.«
    »Mhm.«
    »Aber er nennt sich Herr Long.«

    »Mhm.« Und dann hatte Philipp die rettende Idee. »Könnt doch sein, dass er in geheimer Mission hier ist.«
    Ein abgrundtiefes Seufzen stahl sich aus Lauras Herz.
    »Ja, vielleicht.« Und dann: »Wenn das wahr wäre, das würdest du doch auch schön finden, oder?«
    »’türlich!«

Rückkehr eines Toten
    EURYDICE:
Himmel, mein Mann!
ORPHEUS:
Hölle, mein Weib!
     
    Jacques Offenbach, Orpheus in der Unterwelt
    Drago hatte nicht lange gebraucht, um die Gewohnheiten der Kinder herauszufinden. Und viele andere Dinge hatte er auch in Erfahrung gebracht. Leander hatte sich als äußerst hilfreich erwiesen und ihm eine ganze Liste von Personen mitgegeben, die zu Arianes Umfeld gehörten. Ebenso hilfsbereit zeigten sich Arianes Eltern, nachdem sie die Überraschung überwunden hatten, ihn wiederzusehen. Er hatte ihre Adresse und einen recht guten Eindruck davon erhalten, wie sie derzeit lebte. Ihre Mutter hatte ihm ihre Briefe zu lesen gegeben und auch ein wenig schuldbewusst zugegeben, dass sie ihrer Tochter wohl nicht die Unterstützung hatten zuteilwerden lassen, die nötig gewesen wäre. Aber die beiden Werhahns lebten in ihrer eigenen versponnenen Welt, in der Musik und Kunst eine größere Rolle spielten als Handelsund Wirtschaftsinteressen, Politik und gesellschaftliche Regeln. Darum hatten sie auch ohne besondere Bitterkeit die Missgeschicke geschildert, die zu dem Verlust ihres Hiltruper Gutes geführt hatten.

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