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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Für Drago aber hatten sich einige Puzzlestücke zusammengesetzt, als er hörte, dass Werhahn seine Pferde an Charnay verkauft hatte und der Wechsel, den der Seidenzüchter ihm ausgestellt hatte, schließlich geplatzt war. Servatius hatte ihn schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass Charnay ein zweifelhafter
Charakter war. Nicht erst seine feige Flucht aus dem brennenden Lagerhaus hatte das gezeigt. Er erinnerte sich noch an Servatius’ Schilderung des Wilhelm Stubenvoll, der damals noch als Kommis für Dufour gearbeitet hatte. Als er dem Seidenhändler die kostbaren Teppiche vorlegte, war Stubenvoll dabei gewesen, und der grüne Neid hatte in seinem Gesicht gestanden, als der chinesische Seidenteppich ausgerollt worden war. Was immer ein anderer bekam, wollte der junge Mann auch besitzen. Er hatte das Gegenstück zu jenem Teppich als Köder benutzt, um den ehrgeizigen Kommis dazu zu bringen, für ihn zu arbeiten. Denn als Verkäufer mit guten Marktkenntnissen in Frankreich war er ihm einiges wert. Den chinesischen Teppich hatte Servatius ihm zwar nie übergeben, aber mit ständigen kleinen Belohnungen dafür gesorgt, dass Stubenvoll ihm treu ergeben blieb.
    Dragos Pate war ein Mann gewesen, der sich skrupellos der Gelüste und Abartigkeiten anderer bediente, diese aber auch bei jenen im Zaum zu halten pflegte. Er hatte den Kommis zwar schnell genug durchschaut, hingegen seinen Einfluss auf ihn überschätzt. Denn als eine Notlage eintrat, war der Mann von Gier übermannt worden und hatte ihm nicht nur die Hilfe versagt, sondern ihn sogar noch bestohlen. Auch Servatius hatte eben nicht alles im Griff gehabt.
    Ignaz’Tod in den Flammen hatte Drago und Servatius damals auseinander gebracht und die Kluft zwischen ihm und seinem Vater vertieft. Er selbst hatte seinen Bruder betrauert, an Stubenvoll, jetzt Charnay, jedoch keine weiteren Gedanken verschwendet. Sein Pate aber hatte auf Rache gesonnen. Die Strafexpedition im Jahre sechsundvierzig erhellte Drago, mit welcher Wut Servatius die ganzen Jahre gelebt haben musste, und er war damals froh gewesen, dass ein glücklicher Zufall ihn nicht hatte zum Mörder werden lassen.
    Doch Handeln zeitigte immer Folgen, und die Folge von Servatius’ Eingriff in das Gespinst des Schicksals hatte Charnays Augenmerk wieder auf die Kusans gelenkt und seinem Hass neue Nahrung zugeführt.

    Darum war es vermutlich ein Schlag ins Gesicht des Seidenzüchters gewesen, als er, Drago Kusan, sich gerade zwei Jahre später mit Ariane verlobte, die er als seine Gattin ausersehen hatte. Er sah noch deutlich dessen zuckendes Gesicht vor sich, als er neben ihr stand und ihr Vater der Gesellschaft ihre Verbindung verkündete. In just dem Augenblick war er bedauerlicherweise zu benebelt gewesen, um die Zeichen richtig zu deuten.
    Er war tags darauf zu Werhahns gekommen in der festen Absicht, sich aus der Verlobung herauszuwinden. Aber als er erfuhr, dass Charnay ebenfalls um Ariane angehalten hatte, dämmerte ihm die ganze Bedeutung der Situation. Er bekam etwas, das sich Charnay dringend wünschte. Und um dem Mann eins auszuwischen, hatte er dann der Heirat doch zugestimmt.
    Es war leichtsinnig in vielerlei Hinsicht gewesen.
    Immerhin, Charnay konnte ihm selbst und Ariane zunächst nichts anhaben, sie waren direkt nach der Hochzeit nach Braunschweig gezogen. Aber kurz darauf häuften sich die Zwischenfälle bei den Werhahns. Drago zweifelte nicht daran, dass der Brand der Erntescheune und das Verschwinden des Verwalters ebenfalls auf Charnays Konto gingen. Das aber wollten die Werhahns nicht wahrhaben, also insistierte er nicht weiter. Charnay war derzeit seine geringste Sorge. Es gab Wichtigeres zu erledigen. So hatte er dann George in Barbizon wieder abgeholt, wo der junge Mann und Leander eine offensichtlich äußerst fruchtbare Zeit miteinander verbracht hatten, und war mit ihm nach Köln gereist. Dabei hatte er ihn in seine Pläne eingeweiht, die George schweigend wie üblich anhörte, um dann seinen Bitten kommentarlos Folge zu leisten. Beispielsweise das Kindermädchen ein wenig abzulenken.
    Damit war der erste, entscheidende Schritt schon getan, und seine Begegnung mit den Kindern war zufriedenstellend abgelaufen. Er hatte sich versichern können, dass die beiden sehr aufgeweckte, gesunde und wissbegierige junge Menschen waren, wenngleich sie wohl ein wenig zu Ungehorsam neigten. Und er freute sich wirklich darüber, dass sie ihm mit offener Freundlichkeit
begegnet waren. Das konnte die

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