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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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dass er spätestens um elf Uhr wieder zurück sei, Hannah mit den Kindern und ihre Garderobe sich im Laufe des Vormittags im Hotel einfinden würden und sie bitte das Haus nicht verlassen möge.
    Dann ging er mit Elan an die Durchführung seines Plans.
     
    Einen Augenblick lang wusste ich nicht, wo ich mich befand. Aber je wacher ich wurde, desto intensiver wurden die Erinnerungen.
    Schöne und entsetzliche.
    LouLou war tot, Nona ebenfalls. Aber ich war einem grauenvollen Schicksal entronnen. Drago war bei mir gewesen. Ich hatte in seinen Armen geschlafen.
    Wo war er jetzt?
    Ein kleines Briefchen gab mir Aufschluss, als ich mich gestreckt und aufgesetzt hatte. Sehr umsichtig, dieser Mann, stellte ich schmunzelnd fest. Nein, ich würde das Domhotel ganz gewiss nicht verlassen. Irgendwo in den Straßen der Stadt trieb sich Charnay herum.Vermutlich hatte er das leere Nest inzwischen entdeckt. Mochte der Himmel wissen, was er sich nun dachte.
    Ein Zimmermädchen klopfte an der Tür und fragte, ob ich einen Wunsch hätte. Ich öffnete vorsichtig. Es war wirklich nur eine Hotelbedienstete, und ich teilte ihr meine Bitte nach einem Frühstück auf dem Zimmer mit. Nachdem ich angekleidet und mit Kaffee und frischen Brötchen gestärkt war, nahm sich Herr
Rössler meiner ramponierten Frisur an. Er war für einen Friseur ein unerwartet schweigsamer Mann, aber ein Künstler seines Faches. Mit Schere und Messer formte er aus den traurigen Resten meiner Haare ein fröhliches Lockengewirr, das mir erfreulich gut zu Gesicht stand und die Beule an meiner Schläfe gnädig verdeckte.
    »Zur Zeit der Revolution, Frau Kusan, trugen viele Damen die Haare auf diese Weise. Zu festlichen Anlässen können Sie die Seiten mit Schmuckkämmen hochstecken. Wie Ihr Herr Gemahl mir sagte, sind Sie mit Frau Antonia Waldegg bekannt. Sie hat ihr Leben lang die Haare auf diese Weise getragen. Fragen Sie sie um Rat, auf welche Weise Sie die Frisur verändern können.«
    Richtig, die ältere Frau Waldegg trug ihre silbergrauen Locken noch immer kurz geschnitten und sah damit sehr distinguiert aus. Ich nahm mir vor, bei Gelegenheit mit ihr darüber zu sprechen. Herr Rössler packte seine Utensilien zusammen, und wortkarg, wie er die ganze Zeit über gewesen war, verabschiedete er sich von mir.
    Es war noch früh am Vormittag, und nach der Zeitungslektüre wanderte ich etwas gelangweilt durch die Zimmerflucht, die Drago für sich gemietet hatte. Ich hielt nach Lesestoff Ausschau, aber die ausliegenden Gazetten fesselten mich nicht. Dann fiel mir aber etwas sehr viel Unterhaltsameres ein. Drago hatte doch einen jungen Begleiter mitgebracht. George, so hatte er ihn genannt. Vielleicht sollte ich so dreist sein und mit ihm Bekanntschaft schließen.
    Das Zimmermädchen bestätigte mir, dass der Gast das Zimmer gegenüber bewohne und noch nicht ausgegangen sei. Ich klopfte also mutig an und trat auf das leise »Herein« in den Raum.
    Ein schwarzhaariger junger Mann erhob sich von seinem Stuhl und sah mich verwirrrt an.
    »Ich bin Ariane Kusan«, stellte ich mich vor und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. Er kam um den Tisch herum und
ergriff sie zögernd, ließ sie aber gleich darauf fallen und machte eine tiefe Verbeugung.
    »Guten Morgen, ehrwürdige Kusan TaiTai. Ich bin George Liu.Verzeihen Sie bitte.«
    Was ich verzeihen sollte, war mir nicht ganz klar, aber mir fiel auf, dass der junge Mann tiefe Ringe unter den Augen hatte und unglücklich wirkte.Vielleicht hatte er Heimweh?
    »Ich habe von Drago erfahren, dass Sie so mutig waren, ihn auf seiner weiten Reise zu begleiten. Haben Sie sich denn hier in Deutschland schon ein wenig zurechtgefunden?«
    »Ja,TaiTai. Danke,TaiTai.«
    Mhm, ein bisschen schüchtern? Oder verstand er mich nicht?
    »Sie haben meinen Bruder Leander in Barbizon kennengelernt, nicht wahr?«
    »Ja,TaiTai.«
    Ach herrje, der Junge war offensichtlich den Tränen nahe.Was war denn nur passiert?
    »Setzen Sie sich doch, George«, forderte ich ihn auf und zog mir einen Stuhl heran, um mich neben ihm niederzulassen. Auf dem Tisch lagen einige Blätter, und auf einem Zeichenblock trocknete schwarze Tusche.
    »Sie sind ja auch ein Künstler, George!«, entfuhr es mir, als ich erkannte, was er da mit diesem eigenartigen Pinsel gemalt hatte. Es war ein knorriger, blattloser Ast, auf dem eine Eule saß. Hinter ihr stand die schmale Sichel des Mondes. Der Stil, in dem es gezeichnet war, kam mir sehr ungewöhnlich vor, karg, ohne

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