Goldbrokat
hämischen Gelächters, allen Gespötts.
Er horchte an der Kellertür.
Kein Laut.
Nun ja, sie war ja auch geknebelt.
Er überlegte, ob er es wagen konnte, ihr das Tuch vom Mund zu nehmen. Zu gerne würde er sie schreien hören. Aber es könnte unliebsame Aufmerksamkeit auf sein Tun in diesem baufälligen Haus lenken.
Genüsslich schob er den Riegel auf und öffnete die Tür einen Spalt breit, um das Licht hineinfallen zu lassen. Leise flüsterte er ihren Namen.
Mochte sie doch noch einen kurzen Augenblick auf Rettung hoffen.
Noch immer kein Laut. Noch nicht mal ein Rascheln ihrer Röcke oder ein Schnaufen.
Sehr seltsam.
Er öffnete die Tür weiter und hielt die Lampe hoch. Narrten ihn seine Augen?
War der Raum wirklich leer?
Nichts – keine Frau, keine Fessel, keine Spur.
Hatte er etwas übersehen?
Hastig trat er ein und prüfte das Fenster. Unmöglich, hier herauszukommen. Dann untersuchte er Tür und Riegel. Sie waren doch geschlossen, er selbst hatte den Riegel noch eben mit Kraft zur Seite geschoben.
Verdammt!
Er raste die Treppe nach oben. Jemand musste durch die Vordertür gekommen sein.
Doch auch hier war alles von innen unverändert. Er stürmte wieder aus dem Hinterausgang, durch den Hof zur Frontseite des Hauses. Die Tür war nach wie vor vernagelt, keine frischen
Spuren im Holz, die auf ein Eindringen gedeutet hätten. Die Läden ebenfalls geschlossen und verriegelt.
Was war hier geschehen?
Verfügte die Hexe über Zauberkräfte?
Die Kinder hatten sich auch selbst befreit, doch bei ihnen hatte er die Flucht rekonstruieren können – sie waren aus dem oberen Fenster entkommen, mit wessen Hilfe auch immer. Aber hier gab es keinen Ausschlupf!
War er einem Wahn unterlegen? Hatte er Ariane gar nicht entführt?
Wie wild begann seine Wange zu zucken.
Noch einmal untersuchte er alle Räume, aber nichts fiel ihm auf, das auf ein Eindringen Dritter schließen ließ, nichts darauf, wie die Gefangene entkommen war.
Er zwang sich, die Kette wieder vor die Hintertür zu legen und das Schloss einrasten zu lassen. Mit verkrampften Schritten machte er sich zurück zu seiner Pension.
Klares Denken war ihm im Augenblick nicht möglich, er brauchte einen abgeschiedenen Raum, damit sich die Zuckungen einigermaßen beruhigten.
Als er die Tür zu seinem Zimmer öffnete, fiel ihm ein Umschlag auf, der unter der Tür durchgeschoben worden war. Er bückte sich, riss ihn mit bebenden Fingern auf, und als er den Inhalt gelesen hatte, drängte sich ein heiserer, gequälter Schrei aus seiner Kehle.
Der Ruf der Eule
Wer trotz seines möglichen Vorteils an seine Pflicht denkt,
wer trotz seines möglichen Todes sein Leben einsetzt,
wer trotz lang vergangener Zeiten seine gegebenen Worte nicht vergisst,
der kann als vollkommener Mensch gelten.
Konfuzius
Ihre Wangen waren rosig im Schlaf, und wie kleine Seidenfächer breiteten sich ihre Wimpern darauf aus. Die Bettdecke hatte sie sich fast bis an die Ohren hochgezogen, und die kurzen Locken ringelten sich auf dem Kopfkissen.
So lange war es her, dass er neben ihr aufgewacht war. Und doch fühlte es sich vertraut an. Gerne hätte er ihr Gesicht gestreichelt, wäre unter ihre Decke gerutscht, um ihren warmen, atmenden Körper an dem seinen zu fühlen, hätte sie mit kleinen Zärtlichkeiten geweckt und zu einem morgendlichen Liebesspiel verführt.
Aber die Aufgaben drängten.
Sehr vorsichtig, um den Schlummer der kleinen Tigerin nicht zu stören, verließ Drago das Bett. Auf dem Boden schmiegte sich die schwarze Seide seines Anzugs an die elfenbeinfarbene ihres Nachthemds. Er stieg lächelnd darüber hinweg, um sein Tagwerk zu beginnen.
Schon in der Nacht, während sie gebadet hatte, hatte er einige Briefe geschrieben, die nun dem Boten übergeben werden mussten. Ein Coiffeur musste beordert,Arianes Kleider herbeigeschafft und ihre Wohnung bewacht werden. Auch um die Kinder musste er sich kümmern.
Madame Mira hatte höchst umsichtig gehandelt. Ihrem kurzen
Schreiben zufolge hatte sie Caro Elenz gar nicht befragen müssen, sondern hatte den Boten beauftragt, die Droschke zu verfolgen, in der Charnay die Witwe nach Hause begleitet hatte. Das war ein Glückszufall, denn der Mann war geradewegs in seine Wohnung bei Cäcilien gefahren. Nun verfügte Drago also über seine Adresse, und der Bote war um einen Taler reicher.
Er würde sicher auch geneigt sein, weitere Dienste für ihn zu verrichten.
Für Ariane schrieb Drago einen Zettel, der ihr erklärte,
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